Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
die Hände in den Schoß, drehte viermal die Daumen, klopfte wieder auf den Tisch.
»Die Chemotherapie wird ihn nicht retten.«
Ich zog mein Sweatshirt enger um mich. Mir war so kalt. Eiskalt.
»Mein Sohn wird sterben, vielleicht unter Schmerzen, über die wir keine Kontrolle haben.«
Mein ganzer Körper tat weh. Pochte. Schmerzte.
»Was glaubst du denn, wie es mir geht, verdammt?«, brüllte Momma und fuhr mit dem Arm quer über den Tisch. Kaffeetassen, Sahnekännchen, Zuckerschale und die Kahlúa-Flasche fielen zu Boden und zerbrachen. Sie stand auf und bebte am ganzen Leib. »Was glaubst du, wie es mir geht? Ich bin in der Hölle. In der absoluten Hölle.« Sie hob den Tisch mit beiden Händen an und ließ ihn zu Boden krachen. »Verdammt nochmal!«
»Momma, bitte. Beruhige ich.« Ich stand ebenfalls auf.
»River«, sagte Velvet, »lass uns zwei was von meiner Limonade trinken, Liebchen …«
»Ich soll mich beruhigen?«, zischte Momma. »Beruhigen? Wie soll ich mich beruhigen? Bist du dämlich, Isabelle? Oder was?«
Ich wusste, dass Momma am Boden zerstört war, ich wusste, dass ihr das Herz brach. Aber das Wort dämlich tat mir trotzdem weh, hatte es immer getan.
»Mein einziger Sohn wird aufgefressen, aufgefressen vom Krebs . Ich werde ohne Henry alt werden, ohne meinen Sohn. Ich werde ihn nicht mehr als Flugzeug herumlaufen sehen. Ich werde ihn nicht mehr in der Kirche sehen. Ich werde ihn nicht mehr umarmen und drücken können, zum Tierheim fahren können, nichts. Gar nichts!«
Ich schloss die Augen. Ich war müde bis auf die Knochen, emotional erschöpft und glaubte nicht, dass ich noch einen einzigen Schmerz in meinem Leben ertragen konnte.
»Ich liebe diesen Jungen, und weißt du was?« Sie drückte ihren Kopf mit den Händen zusammen. »Wenn er stirbt, werde ich nichts mehr haben. Ich werde überhaupt nichts mehr haben. Nichts.«
Schluchzend sackte sie auf den Stuhl zurück.
Zuerst konnte ich mich nicht rühren. Genauso wenig wie Janie und Velvet.
Ich bekam ihren schneidenden Schmerz als Erste ab, konnte aber nicht anders, als auch diese vollkommene, selbstsüchtige Trostlosigkeit zu spüren. Momma hatte gesagt, wenn Henry stürbe, hätte sie nichts. Nichts. Nichts von der dämlichen Isabelle.
Was war mit mir und Janie und Cecilia? Bedeuteten wir ihr denn gar nichts? Null? Wusste sie denn nicht, dass sie nicht die Einzige war, die sich grämte?
Ich hörte, wie ich sie aus meiner Verzweiflung heraus angriff. Ich verabscheute mich dafür, aber Jahrzehnte unterdrückter Wut brechen nicht immer zum günstigsten Zeitpunkt hervor. »Und was ist mit uns, Momma? Was ist mit uns?«
»Was soll mit euch sein?«, gab sie zurück. »Hier geht es nicht um dich, Isabelle, es geht um meinen Sohn!«
»Und unseren Bruder!«, sagte Janie mit fleckigem Gesicht. »Was sind wir für dich, Momma? Nichts? Du sagst, wenn Henry stirbt, wirst du nichts haben? Ich bin hier. Cecilia ist hier. Isabelle ist hier. Du hast uns immer wie nichts behandelt, Momma. Ist es das, was du empfindest?«
Momma hob ihr bleiches Gesicht.
»Sag es uns!«, schrie ich sie an. »Wir haben alles für dich getan, was wir konnten, Momma. Alles. Du hast uns nur selten in den Arm genommen. Ist dir das klar? Du hast Henry umarmt. Du hast uns fast nie gesagt, dass du uns liebst. Du hast Henry gesagt, dass du ihn liebst. Ist Henry der einzige Mensch, den du liebst? Und wir sind nichts?«
Ihr Gesicht war gramerfüllt.
»Wir sind deine Töchter!«, rief Janie mit hochrotem Kopf, die Hände zu Fäusten geballt. »Du hast mich mein ganzes Leben lang kritisiert. Nichts, was ich getan habe, war je gut genug. Du kannst meine Bücher nicht leiden. Du denkst, ich bin seltsam. Ich bringe dich angeblich in Verlegenheit. Niemand wird mich je heiraten, ich bin wunderlich. Ich bin trutschig. Du kannst mein Klopfen und Zählen nicht ausstehen. Tja, weißt du was, Momma? Ich kann es nicht ausstehen, mit dir zusammen zu sein. Du machst mich nervös. Ich kann dich nicht ausstehen.«
Mommas Mund öffnete und schloss sich. Ausnahmsweise einmal wortlos.
»Weißt du, was das Traurigste ist? Weißt du das, Momma?« Ich schlang die Arme um mich und meine Einsamkeit. »Weißt du das? Wir wollten immer nur, dass du uns liebst. Mehr nicht. Wir wollten, dass du uns liebst, uns in den Arm nimmst. Das ist nie passiert. Also sag es uns, Momma. Liebst du uns oder nicht?«
»Mein Sohn ist krank …«, brüllte sie.
»Das wissen wir!«, brüllten Janie und ich
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