Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
zuschaute.
Wir stellten Tisch und Stuhl für Henry bereit, damit er Leckereien verteilen und zu den vorbeikommenden Leuten »Jesus liebt dich« sagen konnte. Er plauderte mit Belinda und Bao und spielte in der Pause eine Runde Dame mit Lytle.
Henry ging nach wie vor zum Hundestreicheln. Sie stellten einen bequemen Sessel für ihn bereit, damit er den Hunden beim Spielen zuschauen konnte. Auch wenn der Tag sonnig war, nahmen wir eine Decke mit, weil Henry sagte, ihm sei kalt um die Schultern und er bekomme nur schwer Luft.
Er verteilte weiterhin Donuts in der Kirche und hörte mir beim Singen zu. Er half bei der Messe, trug aber einen Pullover, selbst wenn der Wind warm blies. Wenn es ihm schwerfiel, die Altarstufen zu erklimmen, half ihm Pater Mike, und die Gemeinde wartete.
Beim Bunco im Seniorenzentrum ließ er Tabletts fallen, weil sie zu schwer für ihn wurden, daher gaben sie Henry leichtere Sachen zu tragen und ermutigten ihn mit einem Klaps auf den Rücken.
Aber Henry, unser Liebling, der Sonnenschein in unserem Leben, das Lachen und die Hoffnung, das Einzige, was die Bommarito-Familie zusammenhielt, begann Stück für Stück zu vergehen.
Meine Albträume wurden häufiger, und ich war abgrundtief erschöpft, doch wie so viele Menschen, die mit Krebs zu tun haben, hielt ich den Kopf hoch.
Es brachte mich beinahe um.
Aber ich hielt durch.
Drei Wochen nach der ersten Chemo wachte Henry wieder schreiend auf, das ganze Kissen voll brauner Locken.
Innerhalb von zwei Tagen war Henry kahl.
Er nahm es nicht gut auf, es flossen Tränen.
Er stöhnte kläglich, als er in den Spiegel schaute, und jammerte wieder, als Haare an seinen Fingern kleben blieben. »Bin traurig. Schäme mich. Ich hab kein Haar. Henry ist hässlich. Bin hässlich. Großer Kopf. Viele Beulen. Komische Ohren.«
Und er weigerte sich zum ersten Mal in seinem Leben, das Haus zu verlassen. Keine Kirche am Sonntag, kein Tierheim, keine Kirche am Mittwochabend, kein Aushelfen im Seniorenzentrum, kein Damespielen mit Lytle, keine Tagesausflüge mit seinen Freunden.
Er ging in sein Zimmer, schloss die Tür und legte sich ins Bett. Er wollte nicht essen. Wollte nicht spielen, wollte sich nicht von mir vorlesen lassen. Er glitt, rasch und sicher, dem Tod entgegen.
»Wir müssen was unternehmen«, sagte ich am Sonntagnachmittag zu Cecilia und Janie, als wir uns unter der Weide trafen und der Wind uns das Haar zerzauste.
»Ich hab ihn zu überreden versucht, eine Perücke zu tragen«, sagte Janie beklommen und rang die Hände. Sie hatte das Foto ihrer Therapeutin, ein Tagebuch und ihre CD von Yo-Yo Ma mitgebacht, aber keinen CD-Spieler.
Der Versuch hatte sich als Katastrophe erwiesen. »Nein! Eklig«, hatte Henry gerufen und mit den Händen gefuchtelt. »Ich will kein falsches Haar, ich will Henry-Haar.«
Ich hatte es mit einer Baseballkappe versucht.
»Bin immer noch kahl! Bin immer noch kahl! Nichts auf dem Kopf in der Kirche. Ich trag keine Kappe in der Kirche. Ist schlecht.«
Also lag er im Bett. Dad kam jeden Abend stundenlang vorbei, bleich und erschöpft, aber er konnte Henry weder für Gartenarbeiten noch für Wanderungen oder Fahrradtouren begeistern, die sie früher zusammen unternommen hatten.
»Ich hab versucht, ihn dazu zu bringen, mit Grandma zu fliegen«, sagte Cecilia. »Er fehlt ihr.«
»Neulich hab ich gesehen, wie sich Grandma auf der Veranda ihre Tränen abwischte«, sagte ich. »Sie saß vornübergebeugt da, die Fliegerbrille baumelte an ihren Fingern. Ich hab sie gefragt: ›Was ist los, Amelia?‹, und sie sagte: ›Mir fehlt mein Kopilot. Er ist krank. Dschungelfieber, glaube ich. Vielleicht Typhus.‹«
Wir schwiegen eine Weile, und der nie endende Wind zerzauste mir das Haar noch mehr. Arme Grandma. Armer Henry. Kahl und beschämt. Starb noch schneller, weil er keine Haare hatte.
Ich fuhr mir mit der Hand über den Kopf. Das waren Haare. Mehr nicht.
»Ich glaube, ich rasiere mir den Kopf kahl«, sagte ich.
Ich rechnete damit, dass Cecilia und Janie ausflippten. Taten sie aber nicht.
»Wenn ich kahl bin, wird sich Henry nicht mehr so schämen. Er wird wieder rausgehen. Er hat nicht mehr so viel …« Ich brach ab. Es zerriss mir das Herz. »Er hat nicht mehr so viel Zeit. Ich möchte, dass er diese Zeit noch genießt.«
»Mein Haar war immer das einzig Hübsche an mir«, sagte Cecilia, während ihr der Wind durch das Haar wirbelte. »Das Einzige. Aber was hat mir das gebracht? Nichts. Ich rasiere meins auch
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