Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
fotografierte uns alle, mit Selbstauslöser, zur Pyramide aufgebaut.
Aber mein bestes Foto machte ich von Henry, der mit ausgestreckten Armen und strahlendem Gesicht über den Rasen flog.
Allen fiel die Kinnlade herunter, als wir Kahlköpfe in Davides italienisches Pizzalokal im Zentrum von Trillium River marschierten.
Für unseren Ausflug hatte Grandma eine rosa Schleife an ihrer Fliegerkappe befestigt. Als sie uns alle kahlköpfig sah, hatte sie gemurmelt: »Das ist eine uralte Tradition in Indonesien, aber diese Eingeborenen sind friedfertig.«
Velvet sagte: »Da brat mir doch einer ’nen Storch! Ich bin randvoll mit Liebe für euch Leute.« Und dann hatte sie uns alle umarmt.
Bei Davide war es immer voll, weil der Pizzateig dick ist und an Norditalien an einem sonnigen Frühlingstag erinnert. Alle im Lokal stellten das Essen und Trinken ein, als sie unsere Familie erschrocken anstarrten, Gabeln und Messer fielen auf die Teller und den Boden, die Stille war ohrenbetäubend.
Vermutlich kannten uns alle im Lokal. Bei Mommas und Grandmas Vergangenheit, unserer Highschoolzeit, dem Bäckereibetrieb, Cecilias Arbeit an der Schule, den Freunden der Mädchen, den Familien aus der Gemeinde, den Senioren aus dem Seniorenzentrum, Henrys Freunden und deren Familien, tja, da kann ich mir kaum vorstellen, dass unter ihnen auch nur ein einziger Fremder war.
Trotzdem war es totenstill.
Kein einziges Wort war zu hören.
Dann verkündete Grandma unter ihrer wackelnden rosa Schleife laut: »Ich bin Lady Lindy, Königin der Lüfte, und diese Eingeborenen werden Ihnen nichts antun! Sie sind friedlich.« Sie salutierte.
»Wir brauchen einen Tisch für zehn Personen«, teilte ich der Platzanweiserin mit dem grünen Stachelhaar mit, die Henry angrinste.
»He, Henry«, sagte sie, den Daumen hochgereckt. »Du rockst, Mann. Du rockst total.«
Henry lachte. Sein altes Lachen war zurück, das sich davongemacht hatte, als er in seinem Schlafzimmer lag, der Tod Schritt für Schritt heranschlich und ihm die Fröhlichkeit stahl. Er reckte beide Daumen hoch und verkündete dem ganzen Lokal dröhnend: »Ja, genau. Ich bin Henry. Ich rocke! Wir rocken! Wir sind die Bommaritos! Wir sind kahl! Ja, wir sind kahl !«
Wie gesagt, wir kannten alle Gäste, und sie gerieten völlig aus dem Häuschen. »Bommarito!«, skandierten sie johlend, »Bommarito!«
»Wir sind die kahle Familie!«, verkündete Henry und boxte mit beiden Fäusten in die Luft. »Die kahlen Bommaritos! Seht ihr? Keine Haare!«
Sie umringten uns von allen Seiten.
Wir brauchten eine halbe Stunde, um zu unserem Tisch zu gelangen.
Grandma betete vor dem Essen. »Lieber Gott, hier ist Amelia. Ich hab dir gesagt, du sollst meinen Kopiloten gesund machen. Bist du vielleicht blöd? Er ist immer noch krank. Bist du vielleicht taub?« Dann wurde sie laut: »Bring das in Ordnung, Gott. Mach keinen Scheiß. Bist du vielleicht blind? Amen.«
Jemand sammelte an dem Abend heimlich Geld ein, so dass wir unser Essen nicht mal bezahlen mussten.
Als Momma das herausfand, senkte sie den Kopf und weinte, dort im Restaurant.
30. Kapitel
Am nächsten Tag waren wir auf der Titelseite der Lokalzeitung. Ein Reporter war mit seiner Familie im Restaurant gewesen, hatte rasch seine Kamera aus dem Auto geholt und ein Foto gemacht.
Der Artikel berichtete über die Bommarito-Familie und Henrys Kampf gegen seinen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der Reporter erwähnte, dass Henry das Haus nicht hatte verlassen wollen, weil er sich schämte, keine Haare mehr zu haben. Ausführlich wurde dargestellt, wie viel uns daran gelegen war, dass Henry sein Leben weiterführte und die Zeit genoss, die ihm noch blieb. (Der Reporter hatte sich an Janie herangemacht; sie muss immer alles ausplaudern.)
Der Artikel erwähnte, dass Janie eine berühmte Krimiautorin war, Cecilia eine beliebte Lehrerin, ich eine landesweit berühmte Fotografin und dass unserer Familie Bommaritos Bäckerei in der Stadt gehörte.
Henry kicherte, als er das Foto von uns im Restaurant sah. »Wir sind berühmt. Wie Filmstars.«
Am nächsten Morgen fuhr ich Henry ins Seniorenzentrum, um beim Bunco zu helfen. Janie und Cecilia gingen in die Bäckerei.
Ein dröhnender Pick-up hielt neben uns, und Henry kurbelte das Fenster runter und winkte mit beiden Händen, beiden Armen. Im Pick-up saßen zwei stiernackige Kerle. Lange Haare, harte Gesichter. Fiese Kerle. Das Gesicht des einen sah aus, als hätte er zu viele Messerstechereien hinter
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