Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Schließlich waren wir völlig kahl. Sechs kahle Schädel, und auf dem Boden ein großer Haufen von Haaren – blond, rötlich, weiß, braun.
»Komm raus zum Spielen, Henry«, flüsterte Kayla. »Komm raus zum Spielen.«
Momma kam aus dem Lebensmittelladen, nachdem wir gerade die Küche geputzt hatten.
Als sie unsere Eierköpfe sah, ließ sie die Einkaufstüten fallen. Ich hörte Eier zerbrechen. »Ach, du lieber Gott«, hauchte sie. »O Gott. Und du auch, Carl!«
Ich machte mich auf etwas gefasst.
»Ihr seid alle kahl! Ihr … ihr habt euch die Köpfe rasiert!«
»Überlasst mir mal eure Mutter, Mädels«, sagte Dad. »Alle zurück!«
»Wir mussten, Momma«, sagte ich. »Nur so können wir Henry dazu bringen, sein Zimmer zu verlassen.«
»Wie konntet ihr …« Sie knallte die Geldbörse auf die Arbeitsplatte.
»Wie konnten wir was?«, schoss ich zurück. »Er schämt sich für seinen Kopf, dafür, alle Haare verloren zu haben. Wenn wir alle kahl sind …«
»Wie konntet ihr …« Ihr Mund wurde verkniffen, und sie stemmte die Hände in die Hüften.
»Wir brauchen deine Zustimmung nicht, Momma«, sagte Janie. »Wir haben unsere Grenzen gesteckt, und innerhalb dieser Grenzen haben wir eine Familienentscheidung getroffen.«
»Wir haben es für Henry getan, River.« Dads Stimme, sanft wie immer, schien sie zu erreichen. »Wir haben es für ihn getan. Er muss nach draußen, er muss leben.«
»Ganz ruhig, Omi«, sagte Kayla. »Bitte flipp nicht aus.«
»Kahl ist cool, Omi«, fügte Riley hinzu. »Ich war sowieso schon fast kahl. Du weißt schon. Wegen meines Haarreißproblems.«
»Wie konntet ihr nur …«, setzte Momma wieder an, ihre Stimme noch höher. »Wie konntet ihr das nur ohne mich tun? Ohne mich? «
Wir rasierten Mommas Kopf.
Sie war immer noch schön.
»Du bist heute schöner als damals, River«, sagte Dad mit seiner ruhigen, liebevollen Aufrichtigkeit. »Du wirst immer schön sein.«
»Ach, hör doch auf, du alter Sack«, erwiderte sie, und – o Gott! – sie küssten sich. Auf den Mund. Vor uns allen. Zwei kahlköpfige Menschen, die eindeutig immer noch ineinander verliebt waren.
Selbst nach allem, was wir ohne Dad durchgemacht hatten.
Ich würde meine Momma nie vollständig verstehen, das war mir klar.
Wir warteten, bis Henry aus seinem Nickerchen aufwachte, um einer nach dem anderen in sein Zimmer zu marschieren. Dad, ich, Cecilia, die Mädchen, Janie.
Momma kam als Letzte, die Arme ausgebreitet, die seit Henrys Diagnose stets die in ihren Augen wallenden Tränen hinter einem Lächeln verbargen. »Deine kahle Momma ist da, Henry!«, verkündete sie und verbeugte sich vor ihm, während er klatschte und lachte und vor Begeisterung mit den Füßen strampelte. »Jetzt beweg deinen Hintern aus dem Bett. Die kahlen Bommaritos gehen zum Essen aus, um ihre Glatzen zu feiern!«
Henry stieg vorsichtig aus dem Bett, kicherte und nahm uns mit ins Bad, wo wir uns alle drängten und im Spiegel bewunderten.
»Jetzt bin ich nicht mehr der Einzige.« Er grinste. »Henry ist kahl. Ihr seid kahl.«
Ich starrte mich an. Mein Kopf war schmal. Cecilias hatte eine perfekte Rundung mit einer Krümmung hinten. Janies war gleichmäßig. Momma drehte sich nach rechts und links, bewunderte ihr Profil. Ich schwöre, mein Dad sah noch besser aus als zuvor.
Kayla sagte: »Wir sind die abgefahrenste Familie, die ich kenne.«
Riley sagte: »So abgefahren, dass ich nicht mal mehr fähig bin, mich für uns zu schämen.«
»Ich habe noch nie in meinem Leben bessere Menschen kennengelernt«, sagte Dad. »Ihr seid die besten. Die besten Menschen, die ich kenne.«
Momma beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange, und er legte ihr dem Arm um die Schultern.
Ich betrachtete mich. Ich hatte mich von Zöpfen und einem wilden, einsamen Nomadenleben über kurze Locken bis zur Glatze entwickelt.
Ich glaubte fast, dass ich mir jetzt am besten gefiel. Ich war ein neues Ich.
Eine neue Isabelle.
Ich küsste Henrys kahlen Kopf. »Wir lieben dich, Henry.«
»Ja, genau. Ich hab euch auch lieb. Wir sind die Bommaritos! Wir sind die kahlen Bommaritos! Große Kuschelrunde für alle Bommaritos!«
Ich versammelte die Familie und Velvet draußen und machte Fotos. Ich fotografierte Dad, wie er Momma küsste und sie den kahlen Schädel in den Nacken legte. Ich fotografierte Cecilia mit dem Arm um Janie, Grandma salutierend und Velvet tanzend. Ich fotografierte Kayla, die mit Riley auf dem Rücken herumrannte, und ich
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