Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
sich.
»Henry, hör auf!«, zischte ich. »Dreh die Scheibe hoch.«
»Nein, ich sag hallo! Ich sag hallo.« Er lehnte sich aus dem Fenster. »He, hallo!«
»Henry, hör auf!« Ich zog ihn zurück.
»Nein, ich sag hallo zu Sammy und Petie!«
»Henry, alter Schwede! Henry!«, dröhnte der Fahrer und lächelte. Verschwunden war das Nahkampfgesicht, seine Augen leuchteten auf, sein Lächeln wurde beinahe strahlend.
»Henry, Kumpel«, nuschelte der andere und machte irgendein Handzeichen. »Geile Frisur, Kumpel. Geil.«
»Ich bin kahl!« Henry lachte. »Hab Krebs. Bauch-spei-übel. Ist voll übel! Echt. Mehr nicht.«
Ich sah, wie ihnen die Gesichtszüge entglitten. »O Mann, wie ätzend«, sagte der Messerstecher. »Wie ätzend.«
Die Ampel wurde grün. Hinter uns hupte ein Auto. Ich fuhr jedoch nicht weiter. Henry unterhielt sich schließlich!
»He, Kumpel«, sagte der Handzeichengeber niedergeschmettert. »Das tut mir leid. Tut mir echt leid, Henry.«
»He! All mein Freunden tut’s leid.«
»Können wir was für dich tun, Kumpel? Können wir dir irgendwie helfen?«
Das Auto hinter uns hupte erneut.
»Nein. Nein. Ist gut. Jesus sagt, ich geh bald heim. Ich freu mich, weil ich euch seh. Ich freu mich! «
Das Auto hupte abermals. Ich hörte die beiden Männer fluchen.
Henry flüsterte: »Böse Wörter.«
Die Männer mit den bösen Wörtern stiegen aus dem dröhnenden Pick-up, knallten die Türen zu und bedachten den Fahrer, der gehupt hatte, mit finsteren Blicken. Ihre Lederwesten spannten sich über ihren breiten Brustkörben.
Sofort hörte das Hupen auf. Ich drehte mich um. In dem Auto saßen vier Teenager. Sie waren auf ihren Sitzen erstarrt, die Münder offen vor Furcht.
Die Stiernacken wandten sich wieder Henry zu. »Nimm den Kampf auf, Henry«, sagte der Messerstecher und wischte sich mit schwieliger Hand die Tränen aus den Augen.
»Nein, ich kämpf nicht. Ich geh in den Himmel. Ganz bald. Hat Jesus mir gesagt. Ich muss zum Bunco. Ich seh euch in der Kirche. Okay? Seh ich euch in der Kirche?«
Überraschenderweise nickten sie.
»Okay, Henry. Wir sehen uns in der Kirche«, seufzte der Handzeichengeber und klopfte Henry auf die Schulter.
»Okey-dokey. Jesus liebt dich.«
»Ja, Mann, auf dich fährt er auch ab.«
»Ja, genau!« Henry lachte. »Jesus fährt auf dich ab!«
Im Rückspiegel sah ich, wie der eine Stiernacken den Arm um den anderen legte und ihm auf den Rücken klopfte.
»Wer war das?«
»Oh, Vettern von Pater Mike. Sind total nett.«
Okey-dokey.
»Du bist hübsch, Isi.«
Ich griff nach der Hand meines Bruders.
Bob der Macher hatte den Artikel gelesen. Er rief wieder an. Kayla war am Telefon. Sie sagte, sie würde beten, dass er gute Gründe hätte, mit ihrer Tante Janie sprechen zu wollen, und segnete ihn.
»Willst du ihn denn nicht wiedersehen?«, fragte ich Janie. »Seinen englischen Garten? Zusammen Klassiker lesen? Ein paar Scones mit deinem Zitronentee knabbern?«
»Will ich. Will ich nicht. Will ich.« Beklommen überprüfte sie den Herd, den Backofen. Atmete tief durch. »Ich muss mich in meine Gelassenheitsecke setzen, Kerzen anzünden, mit meiner Therapeutin kommunizieren.«
»Du hast bereits mit deiner Therapeutin kommuniziert«, sagte ich gedehnt. »Was hat sie gesagt, zum hundertsten Mal?«
»Dass ich ihn anrufen soll.« Janie seufzte, die Hände gegen die Schläfen gepresst. »Ich brauche mein Stickzeug.«
»Dann mach es, Tante Janie«, sagte Kayla. »Hier, zieh meinen Sari an, wenn du mit ihm telefonierst. Der bringt Glück.« Sie reichte Janie den orangefarbenen Sari, den sie neulich getragen hatte.
Janie zog ihn an.
Es nützte nichts. Sie konnte den Hörer nicht hochnehmen und wählen. Zu viel Angst.
Am nächsten Tag fuhren Henry und ich ins Tierheim. Er trug ein blaues T-Shirt mit dem Bild einer grinsenden schwarzen Katze und seine Schuhe mit den Klettverschlüssen.
Mir fiel erneut auf, dass das Tierheim dringend renoviert werden musste und mehr Platz brauchte.
»Paula Jay«, rief Henry. »Paula Jay, wo bist du? Henry ist da. Ich will die Hundis streicheln.«
Keiner antwortete, also gingen wir nach hinten zu den Zwingern.
Dort fanden wir Paula Jay und Dawn. Sie waren dabei, ein paar Hunde anzuleinen, um mit ihnen spazieren zu gehen.
»Hi, Paula Jay, hi, Dawn«, sagte Henry, begeistert darüber, die beiden gefunden zu haben.
»Hallo, Henry!« Sie lächelten.
Mir blieb glatt die Luft weg.
Paula Jay und Dawn waren kahl. Nicht ein einziges Haar
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