Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
schlang die Arme um sich, ich reckte das Kinn vor.
»Wie wir es wagen können?« Ich erhob mich. Ich war so wütend. So beschämt, dass ich am liebsten gestorben wäre. Momma zog ihre Sachen für die Männer dieser Stadt aus. Und zwar auf der Bühne.
»Ja, wie könnt ihr es wagen«, wiederholte Momma und begann zu zittern.
»Du bist doch diejenige, die ihre Klamotten auszieht!«, rief ich.
Sie warf den zweiten Behälter mit Essen durch das Zimmer. Nudeln mit Tomatensoße quollen heraus. Auch das machte mich sauer. Die Nudeln waren unser Abendessen. Ich hatte Hunger!
»Wer hat euch das erzählt?«
»Alle, Momma! Seit Wochen schon prügeln wir uns deswegen mit anderen Kindern. Wir dachten, sie würden lügen!«
Sie wankte.
»Wie kannst du bloß so was tun?« Ich war so frustriert, so erledigt, dass ich das Gefühl hatte, der Teufel wüte in mir.
Ich hörte, wie Henry in seinem Zimmer zu wimmern begann. Mommas Blick huschte in seine Richtung.
»Henry habt ihr es aber nicht erzählt, oder?«
»Nein, Momma, wir fanden, er muss nichts von deinem Gehampel an der Stange wissen.«
Ihr Gesicht lief rot an. »Glaubt ihr vielleicht, mir gefällt das, ihr verzogenen Blagen?«
Schweigen. Wir waren noch klein. Wir verstanden es nicht, begriffen es einfach nicht.
»Glaubt ihr das?«, kreischte sie, und ihr blonder Pferdeschwanz peitschte hin und her. »Ja?« Sie schleuderte ihre Handtasche durchs Zimmer. Eine Vase zerbrach, die wir bei einem Garagenverkauf gefunden hatten.
»Es muss dir doch gefallen«, schrie ich zurück. »Muss es doch, sonst würdest du es ja nicht tun!«
O Gott, ich hatte eine Momma, die sich nackt auszog!
Janie sagte: »Momma, wir haben dich doch lieb, aber …«
»Aber was?«, lauerte sie.
»Aber du sollst das nicht tun!«, rief Cecilia. »Du sollst nicht strippen gehen. Wir müssen umziehen, Momma. Alle wissen Bescheid!«
Unsere Mutter rührte sich nicht.
»Selbst Kellnerin ist besser als das«, sagte ich hochnäsig und neunmalklug zu ihr. »Da hast du ein Tablett in der Hand und leckst den Leuten die Füße, aber wenigstens bist du dabei nicht nackt!«
»Momma, in der Schule nennen sie dich die nackte Mami!«, warf Cecilia ihr vor. »Sie sagen, mein Vater will zur sexy River. Das heißt, die kommen zu dir und gucken zu!«
»Ist doch ein bisschen nuttig, meinst du nicht, Momma?«, höhnte ich.
Das war zu viel. Rückblickend wundere ich mich, dass sie mich nicht gegen die Wand klatschte. Sie ist nicht gerade bekannt für ihre Zurückhaltung.
»Du glaubst, ich bin eine Nutte?«
»Ich finde, du führst dich wie eine auf!«
Janie wimmerte.
»Verachtest du mich, Isabelle Bommarito? Du, die in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen Tag gearbeitet hat? Du, die sich nie darüber Gedanken machen musste, vier Kinder ganz allein durchzubringen?«, keifte sie. Ihre leuchtend grünen Augen mit dem Licht tief drinnen füllten sich mit Tränen.
Henry in seinem Schlafzimmer gab ein Stöhnen von sich.
»Ja, Momma, das tue ich. Es ist abartig! Du bist abartig.«
»Isabelle, hör auf …«, flehte Cecilia.
Momma bebte am ganzen Körper. »Dann übernimm du es, Isabelle. Ernähre du diese Familie!«
»Das kann ich nicht, Momma, ich bin erst vierzehn!«
Sie kam ganz dicht an mich heran. »Weißt du, warum ich diese Arbeit mache, du kleine Rotzgöre? Hast du irgendeine Ahnung? Ich mache es, weil ich keine andere Wahl habe. Ich kann nichts anderes. Ich habe keine Ausbildung. Ich habe keinen Mann. Vom Kellnern allein kann ich unsere Rechnungen nicht bezahlen, du fieses Blag. Glaubst du vielleicht, ihr habt Cracker zu Mittag gegessen, weil ich das so wollte? Glaubst du, wir hatten das ganze Wochenende über Nudeln, weil ihr die so gerne mögt? Die haben wir gegessen, weil ich mir nichts anderes leisten konnte.«
Sie ging auf Abstand, als könnte sie es nicht ertragen, in meiner Nähe zu sein, griff nach dem nächsten Gegenstand auf dem Tisch – ein Tonabdruck meiner Hand, den ich ihr mal geschenkt hatte – und schleuderte ihn durch den Raum. Der Abdruck traf den Spiegel, und beide zerbrachen in tausend Stücke. Alles Blut wich mir aus dem Gesicht.
»Hast du eine Ahnung, wie viel Henrys Magentabletten jeden Monat kosten?«, brachte sie hervor. »Und sein Asthmaspray?«
Ich schüttelte den Kopf.
Man konnte Henry schluchzen hören.
Sie griff zum nächsten Gegenstand, einer Keramikskulptur, die Janie im vergangenen Jahr gefertigt hatte. Sie sollte einen Hund darstellen, sah aber eher wie eine
Weitere Kostenlose Bücher