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Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Titel: Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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Kreuzung aus Schlange und Stachelschwein aus. Die Skulptur flog über die Couch und landete in einer Lampe. Sie kippte um und zerbrach.
    Janie stöhnte. Cecilia sog Luft ein.
    »Hast du eine Ahnung, wie viel ich dem Krankenhaus und den Ärzten für Henry schulde? Weißt du das?« Momma nannte eine gewaltige Summe. »Niemals im Leben werde ich das zurückzahlen können, aber sie verlangen es trotzdem von mir. Immerhin brennt hier noch Licht.«
    Der dritte Gegenstand, der durch die Luft flog, war der Rahmen mit dem Foto von uns vier Kindern und Momma.
    Janie schlug die Hände vors Gesicht und redete vor sich hin.
    Cecilia zitterte, glühend rot, verängstigt.
    Momma schob ihr vor Wut verzerrtes Gesicht wieder ganz nah an meins heran. »Ich hasse diese Arbeit, hörst du? Ich hasse sie. Ich tue es für euch. Sogar für dich, du arrogantes, dummes Blag. Ich tue es, weil ihr die Einzigen seid, die auf Henry aufpassen können. Ich tue es, weil er so krank ist und immer einen von uns bei sich braucht. Ich habe keine andere Wahl. Glaubst du vielleicht, ich ziehe mich gerne vor perversen, geifernden, ekligen Männern aus?«
    Mittlerweile schrie sie vor Frust, völlig vernichtet.
    Gedemütigt.
    »O Momma«, heulte Janie.
    »Momma, wir lieben dich …«, setzte Cecilia an.
    Henry rief aus seinem Zimmer: »Helft mir! Hilfe!«
    Ich verschränkte die Arme. »Es muss eine andere Möglichkeit geben, Momma, als strippen zu gehen.«
    Bis heute höre ich diese Worte in meinem Kopf. Der beißende Tonfall, die herablassende Härte.
    Bis heute hasse ich mich dafür.
    »Geh mir aus den Augen!«, wütete Momma. »Und mach nie wieder deinen dreckigen Mund auf, um darüber zu reden!«
    »Wir ziehen besser um«, sagte ich gedehnt. »Unsere Mutter ist nicht viel besser als eine Hure.«
    Das war zu viel. Sie holte aus, ihr Arm spannte sich wie ein Bogen und schlug mir ins Gesicht. Ich fiel zu Boden.
    »Meine Güte, ich hasse dich«, schäumte sie.
    »Momma …« Ich blieb liegen, niedergeschmettert, betäubt von ihren Worten. Cecilia hatte meinen BH hinten zusammengetackert, jetzt gab die Klammer nach.
    Henry rief wieder: »Helft mir! Hilfe!«
    Sie versetzte mir noch einen Hieb, mein Kopf schlug nach hinten. Tagelang sollte mir der Nacken wehtun. Die Flecken waren erst violett, dann grünlich-braun.
    »Raus hier! Raus!«, schrie Momma und machte einen drohenden Schritt auf mich zu. Ich kroch davon, dann hievten Cecilia und Janie mich hoch und zerrten mich aus dem Zimmer.
    Henrys Wimmern wurde zu einem Heulen. Er kam erst zur Ruhe, als Momma zu ihm ging. In der Dunkelheit hörte ich, wie sie ihn beruhigte, auf ihn einredete.
    Ich wusste, dass sie ihn in den Arm nahm, bis er wieder einschlief, wie ein Muttertier, das sein Junges beschützt.
    Einen Moment lang hasste ich Henry.
    Ich wünschte mir, Momma würde mich in den Schlaf wiegen.
    Ich kroch in meinen Schrank und weinte, bis meine Tränen versiegt waren. An ihre Stelle trat eine hohle Leere.
    Diese Leere spüre ich noch immer.

    Die Bommarito-Mädchen wurden nie irgendwo eingeladen, weder zum Spielen noch zum Geburtstag.
    Kein einziges Mal.
    Menschen können unerbittlich und gnadenlos sein, und schnell trifft es auch die Kinder der Missetäter. Besonders wenn die Mutter hübsch und des Öfteren nackt ist, und wenn die Ehemänner »River« flüstern, wenn sie auf ihrer Frau liegen, aber dabei nicht an den Willamette oder Columbia River denken.
    Wir sprachen nie wieder über Mommas Arbeit, sondern kämpften uns weiter durch unsere Kindheit, wortwörtlich.
    Momma geriet relativ regelmäßig in eine strudelnde Abwärtsspirale. Wenn es so weit war, fehlte es oft an Lebenswichtigem wie Essen oder Strom. Cecilia bekam Hautausschläge, die nicht verschwinden wollten, Janie hatte Migräne, doch wir konnten uns nicht die notwendigen Medikamente leisten. Henrys Gesundheit war angeschlagen.
    Eine besonders blutige Episode will mir nicht aus dem Kopf, wie eine rot pulsierende Vision. Ein anderes Mal wartete das Böse auf der Terrasse eines verfallenen Hauses, und ich dachte, wir hätten den Tiefpunkt von Angst und Armut erreicht. Doch es gab noch weitere Katastrophen, die auf uns warteten, unaufhaltsam, tückisch, vernichtend.
    Aber dieses Mal warteten sie auf Henry.

7. Kapitel
    Um fünf Uhr morgens schrillte mein Wecker. Er klang wie eine niedersausende Bombe, und ich sprang aus dem Bett. Wer zu viele Nächte in Kriegsgebieten verbracht hat, ist sofort auf den Beinen, wenn er von einem Fiepton aus dem

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