Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Tiefschlaf gerissen wird.
Ich sank zurück aufs Bett und hielt mir den Kopf, bis mein Herz nicht mehr so wild pochte und ich wieder gleichmäßig atmen konnte.
Nach dem Duschen zog ich Jeans und einen schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt an. Der Morgen war so still und kalt, dass ich das Gefühl hatte, Eiswürfel im Bauch zu haben.
Unten traf ich Janie. Sie trug einen rosa Rock mit weißer Bluse, dazu weiße Tennisschuhe. Ihr Haar hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten und am Hinterkopf festgesteckt, was ihre Trutschigkeit noch unterstrich.
»Du siehst aus wie ein Cupcake.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Gegen ein sauberes, frisches Aussehen ist ja wohl nichts einzuwenden.«
»Du siehst wie ein sauberer, frischer Cupcake aus.«
Sie reckte das Kinn vor. »Ich mag meine Sachen.«
»Ich auch. Geschmackvoll.«
»Ha, ha. Du bist zum Piepen, Isabelle. Zum Piepen.« Sie stapfte zur Tür. »Nicht jeder will sich so aufreizend kleiden wie du.«
Ich sah auf meinen Pullover hinunter. So tief war der Ausschnitt nun auch nicht.
Bevor wir das Haus verließen, überprüfte Janie den Herd, das Bügeleisen und die Haartrockner. Sie verschloss die Haustür, ging zum Auto, rannte wieder zurück, überprüfte alles erneut, verschloss die Tür, klopfte viermal dagegen und lief wieder zum Auto.
»Klopf, klopf, klopf«, trällerte ich und ließ ihren Porsche an.
»Halt die Klappe, Isabelle! Wenigstens lege ich mich nicht nackt auf die Arbeitsplatte, wenn’s mir nicht gutgeht.«
»Ich lege mich auch nackt auf die Arbeitsplatte, wenn ich glücklich bin, da hast du’s, klopfi-klopfi.«
»Du bist aber nie glücklich, und ich zeige den Leuten in den Hochhäusern wenigstens nicht meine Möpse.«
»Sie mögen meine Möpse.«
»Wenigstens trinke ich keinen Kahlúa zum Frühstück.«
»Kahlúa ist lecker.«
Janie legte Vivaldi ein.
Wir fuhren auf die Stadt zu, wo noch niemand auf den Beinen war – die Leute sind ja nicht verrückt. Selbst die Sonne wirkte müde, der goldene Ball stieg langsam hoch, als käme er gerade aus dem Bett, müsste erst seinen Kater loswerden und sich dann überlegen, welche Farben er über den Morgenhimmel breiten wollte.
Bäume wölbten sich über die Straße. Die Häuser kamen mir bekannt vor; ich versuchte mich zu erinnern, wer hier gewohnt hatte, als ich zur Highschool ging. Nette Kinder, gemeine Kinder. Kinder, die in Schwierigkeiten gerieten, und Kinder, die einfach nur Kotzbrocken waren.
Schon eine geraume Weile war ich nicht mehr für längere Zeit in Trillium River gewesen. Meine Arbeit als Fotografin hatte mich in die Ferne geführt. Jahrelang hatte ich in Frankreich, Israel, dem Libanon und in London gelebt, unterbrochen von Abstechern in krisengeschüttelte, kriegszerstörte, verheerte Länder im heiteren Afrika und im friedlichen Nahen Osten.
Es war nicht angenehm zu sehen, wie die Leiber von Menschen zerrissen wurden – hier ein Fuß, da ein Kopf … nur weil ein paar Männer der Meinung waren, sie könnten sich nicht an einen Tisch setzen und die Sache in Ruhe ausdiskutieren.
In einem Dorf anzukommen, das von einem Tsunami ausgelöscht wurde, ist nicht erfreulich; ebenso unangenehm ist es, schreiende Mütter zu sehen, die ihre Kinder nicht finden können, und schreiende Kinder, die ihre Mütter verloren haben. Wenn man vor den Janjaweed-Milizen flieht, die den Dschungel mit ihren Macheten durchstreifen, bleibt einem fast das Herz stehen. Hungersnöte vermitteln einen besonders hübschen Eindruck davon, wie Menschen auf der Schwelle des Todes vegetieren, kaum fähig, aufrecht zu stehen, die Bäuche aufgedunsen, als hätten sie eine Wassermelone verschluckt.
Seltsame Krankheiten, die wir hier nie zu sehen bekommen, gedeihen in anderen Ländern prächtig, entwickeln vollkommen entkräftende, grauenhafte Symptome.
Ich habe das alles fotografiert.
Und meine Liebe zur Fotografie entstand ausgerechnet hier, in dieser Stadt.
In der Schule gab es einen Fotokurs, an dem nur Streber und Nerds teilnahmen. Ich schrieb mich ein, weil ich dachte, es wäre einfach.
Der Lehrer war auch so ein Nerd. Er hieß Mr Sands und hatte einen Freund namens Mr Reynolds.
Wir wussten alle, dass die beiden schwul waren.
Für mich waren sie, abgesehen von Pater Mike, die nettesten Männer, denen ich je begegnet war. Mr Sands gab mir eine Kamera und erklärte mir, wie man Fotos macht. Mr Sands und Mr Reynolds nahmen mich mit, um in den Bergen und am Fluss zu fotografieren. Cecilia und Janie
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