Rose Harbor und der Traum von Glueck
«
» Er muss es getan haben. Ich kann nur vermuten, dass er es zurückgeben wollte, sein Vater den Diebstahl jedoch vorzeitig entdeckte. «
» Und dann ist er einfach davon ausgegangen, dass du es warst. «
Es war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung.
Josh erinnerte sich an die Szene, als ob es gestern gewesen wäre. Dylan hielt sich gerade in der Küche auf, als Richard ins Wohnzimmer stürmte, wo Josh für die Schule lernte. Brüllend und fluchend packte er ihn am Kragen, während Dylan von Entsetzen gelähmt nur stumm zusah, wie sein Vater seinen Stiefbruder buchstäblich aus dem Haus warf.
Später kam Dylan zu ihm. Ihm war klar, dass Josh Bescheid wusste, was es mit dem Geld auf sich hatte. Um ihm nicht unnötig Schuldgefühle zu bereiten, erklärte er dem Jüngeren, es sei für ihn ohnehin an der Zeit, das Haus zu verlassen. Deshalb sollten sie die Dinge auf sich beruhen lassen.
Selbst wenn Dylan seinem Vater die Wahrheit gesagt hätte, würde es nichts geändert haben – das verschwundene Geld war für ihn schließlich bloß der Vorwand, den lästigen Stiefsohn loszuwerden.
Und wirklich hatte Josh bereits seinen Auszug geplant und sich zum Militärdienst gemeldet. Eine Woche nach seinem Highschoolabschluss sollte er mit der Grundausbildung beginnen, und da er ohnehin nicht vorhatte, jemals wieder zurückzukommen, machte es seiner Meinung nach wenig Sinn, die Angelegenheit richtigzustellen. Die Zeit bis zur Abschlussprüfung ließ sich überstehen. Irgendwie.
Michelle legte ihm eine Hand auf den Arm. » Alles in Ordnung? «
Josh wusste nicht genau, was er darauf antworten sollte. War alles in Ordnung?
» Ich bin nur erstaunt, das ist alles. Weil Richard nach wie vor über die Macht verfügt, mich zur Weißglut zu bringen. Ja, und irgendwie ist dieser Gedanke für mich ziemlich erschreckend. Eigentlich hatte ich gedacht, er würde keine Kontrolle mehr über mich haben. «
» Wie kann ich dir helfen? « , fragte sie.
Josh konnte ihr darauf keine Antwort geben.
Plötzlich empfand er neben Wut und Erschrecken zudem eine Art Trauer. Er hätte gern mit der Vergangenheit abgeschlossen und seinen Frieden mit Richard gemacht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch selbst das schien unmöglich zu sein. Obwohl er den Tod bereits vor Augen hatte, war der alte Mann offenbar nicht gewillt, den Zwist beizulegen.
» Josh? « , fragte Michelle erneut.
» Selbst du kannst nicht helfen. Trotzdem bin ich dankbar, dass du dabei warst. «
» Ich halte es für das Beste, wenn ich dich beim nächsten Besuch erneut begleite « , schlug sie vor.
Josh stimmte mit einem Nicken zu. » Ist wahrscheinlich eine gute Idee. «
» Erinnerst du dich an den Pancake Palace? « , erkundigte sie sich nach einer kurzen Pause.
Die Frage traf ihn wie aus heiterem Himmel. » Wie bitte? «
Der Pancake Palace, der neben anderem Essen Pfannkuchen in allen Variationen anbot, war bereits zu seiner Zeit ein beliebter Treffpunkt für junge Leute gewesen, doch er hatte seit Jahren nicht mehr daran gedacht.
» Hast du schon zu Mittag gegessen? « , fragte sie geradeheraus. » Ich bekomme immer schlechte Laune und rege mich leicht auf, wenn ich nichts im Magen habe. «
» Etwas gegessen? « , wiederholte er, während seine Gedanken noch bei der Auseinandersetzung mit Richard waren. » Nein, ich glaube nicht. «
» Ich auch nicht, und ich sterbe vor Hunger. Kommst du mit? «
Sie schien seine Zustimmung vorauszusetzen, denn sie packte ihn am Ellbogen und führte ihn zu seinem Wagen.
» Es ist bereits nach drei, und ich habe heute nur gefrühstückt « , erklärte sie.
Obwohl Josh bezweifelte, dass er etwas hinunterbrachte, musste er weg von Richard, und die Aussicht, allein in seinem Pensionszimmer zu sitzen, erschien ihm wenig verlockend.
» Gut, dann auf zum Pancake Palace. «
Er öffnete Michelle die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen, bevor er um den Wagen herumging und neben ihr Platz nahm.
Als er den Schlüssel ins Zündschloss stecken wollte, legte sie ihre Hand auf seine. » Das eben muss sehr schwierig für dich gewesen sein, Josh. Es tut mir so leid. «
Die sanfte Berührung und die Wärme in ihrem Blick taten ihm gut. Ihn faszinierte nicht nur ihre körperliche Veränderung – nein, was ihn genauso in den Bann schlug, waren ihre Lebensklugheit und ihre Reife. Beides konnte man nicht erlangen, ohne selbst viel Kummer erlebt zu haben. Doch er fragte nicht nach. Zu sehr beschäftigten ihn seine eigenen
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