Rose Harbor und der Traum von Glueck
geboren und wuchs in dem Ort auf, war allerdings lange nicht mehr hier. Meine Eltern sind weggezogen – einige Zeit, nachdem ich mit der Highschool fertig war und in Seattle studierte. Da gab es einfach keinen Grund mehr zurückzukehren. «
» Das muss schon eine ganze Weile her sein « , stellte ich beiläufig fest.
» Mehr als ein Jahrzehnt, vielleicht zwölf Jahre … «
Ich erwog, sie nach Freunden, Klassentreffen und solchen Dingen zu fragen, bezwang meine Neugier jedoch. Sie wirkte unsicher und gehemmt, und ich wollte ihre Nervosität nicht zusätzlich steigern.
» Möchten Sie die Formulare ausfüllen, bevor ich Ihnen Ihr Zimmer zeige? « , sagte ich und führte sie durch die Küche in mein Büro. » Sie bleiben für drei Nächte, ist das korrekt? «
» Ja. « Abby zögerte. » Allerdings könnte es sein, dass ich früher abreise … Ich weiß nicht, wie Sie das dann regeln. «
» Das wäre kein Problem. «
Zwar war es nicht unüblich, in diesem Fall den vollen Preis zu verlangen, aber ich wollte das zunächst vermeiden. Zum einen kannte ich mich mit den Gepflogenheiten noch zu wenig aus, zum anderen schien es mir für einen geschäftlichen Neueinstand nicht schlecht, sich kulant zu geben.
» Ich bin wegen einer Hochzeit in der Stadt « , fuhr sie fort. » Mein älterer Bruder … Ich glaube, unsere Eltern hatten die Hoffnung inzwischen aufgegeben, dass Roger je heiraten und sesshaft werden würde. Wir freuen uns alle so für ihn und Victoria. «
» Das ist ja wundervoll. «
Abby reichte mir ihre Kreditkarte. Ich las die Daten rasch ein und legte sie zur Seite.
» Soll ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen? « , fragte ich.
» Ja bitte. «
Auf dem Weg zur Treppe blieb Abby stehen und schaute über die Lichter der Stadt hinweg.
» Abends ist es sehr schön hier « , sagte ich. » Und bei Tag ist der Blick sogar atemberaubend. «
» Ich weiß, die Aussicht von hier oben über die Bucht ist berühmt. «
Sie griff nach ihrem Koffer und folgte mir die Treppe hoch zu dem Zimmer. Es lag im selben Stockwerk wie das von Joshua Weaver, nur am anderen Ende des Gangs.
» Ich habe außer Ihnen lediglich einen anderen Gast « , sagte ich. » Sie werden ihn sicher morgen beim Frühstück kennenlernen. «
Sie nickte, wirkte jedoch nicht sonderlich interessiert. Nachdem ich sie zu ihrem Zimmer gebracht und ihr gezeigt hatte, wo sie frische Handtücher und eine zusätzliche Decke fand, falls sie eine brauchte, kehrte ich in die Küche zurück, um mich wieder um meine Geflügelpastete zu kümmern.
Als ich sie in den Ofen schob, wurde mir klar, dass eine ganze Armee davon satt würde. Für mich allein jedenfalls war es eindeutig zu viel. Also stellte ich die Zeitschaltuhr ein und stieg erneut die Treppe zu Abbys Zimmer hoch, klopfte leise an.
» Einen Moment bitte. «
Ich wartete im Gang, bis Abby die Tür öffnete. Sie hielt sie nur einen Spaltbreit offen und sah mir nicht ins Gesicht – dennoch meinte ich, ungeweinte Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen.
Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, sagte ich rasch: » Möchten Sie mir vielleicht beim Dinner Gesellschaft leisten, falls Sie keine anderen Pläne haben? «
» Oh danke, das ist sehr nett von Ihnen. Meine Familie weiß nicht, dass ich bereits hier bin … Ich bin nämlich einen Tag früher angekommen als erwartet. Sehr nett von Ihnen, nur habe ich nicht den geringsten Hunger. «
Ein Tag zu früh, und sie hatte ihrer Familie kein Wort gesagt. Das kam mir seltsam vor, zumal es sich schließlich um einen ausgesprochen freudigen Anlass für ihr Kommen und nicht um etwas Unangenehmes oder Trauriges handelte.
» Wenn Sie irgendetwas brauchen, scheuen Sie sich nicht, mich zu fragen. «
» Danke, es ist alles in bester Ordnung. «
Sie hatte die Tür bereits wieder halb geschlossen. Ein unmissverständliches Zeichen, dass sie allein sein wollte. Selbstverständlich respektierte ich das – schließlich kannte ich dieses Bedürfnis nach Einsamkeit seit Pauls Tod allzu gut.
Trotzdem war meine Neugier geweckt.
Abby Kincaid lebte in Florida und hatte den weiten Weg vom äußersten Süden der Vereinigten Staaten bis in den äußersten Norden auf sich genommen, um an der Hochzeit ihres Bruders teilzunehmen. Und doch saß sie jetzt den Tränen nahe in einem B & B. Gab es denn keine alten Schulfreunde, die sie nach langer Zeit gern wiedersehen wollte? Und wieso wusste ihr Bruder nichts von ihrer Ankunft?
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
Die Uhr
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