Rose Harbor und der Traum von Glueck
inzwischen die Realität verkannte.
» Hast du gehört? «
» Du kannst es ja versuchen « , gab Josh grinsend zurück.
» Raus jetzt. «
» Schlaf weiter. Ich bin gleich weg. «
» Wird auch Zeit. «
Als Josh im Gehen das leere Wasserglas von Richards Nachttisch nehmen wollte, duckte sich der Kranke reflexartig.
» Richard « , flüsterte er, » hast du etwa gedacht, ich würde dich schlagen? «
Sein Stiefvater gab keine Antwort, sondern drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen.
Schweigend griff Josh jetzt nach dem Glas, trug es in die Küche, füllte es neu und gab Eis hinzu, bevor er es zurück ins Schlafzimmer brachte. Dort verharrte er einen Moment lang unschlüssig, bevor er sich Richards Wünschen fügte und sich auf den Weg machte, um im Rose Harbor Inn noch ein paar Stunden zu schlafen.
Zu schnell war der Morgen gekommen.
Josh schob die Decken weg, stieg aus dem Bett und ging ins Bad, um rasch zu duschen. Während das Wasser auf seinen Körper prasselte, dachte er über die Ereignisse des vergangenen Tages nach, nicht zuletzt über sich und Michelle.
Er hatte nie beabsichtigt, irgendetwas mit ihr anzufangen. Vor wenig mehr als vierundzwanzig Stunden war sie für ihn noch das übergewichtige Mädchen von nebenan gewesen, das peinlicherweise für seinen attraktiven Bruder geschwärmt hatte. Mit einer hinreißenden, verführerischen jungen Frau hatte er schließlich nicht rechnen können.
Und so waren die Gefühle für sie, sein Verlangen, ihre Nähe zu spüren, Trost bei ihr zu finden, gleichermaßen erschreckend wie erregend. Es fühlte sich so gut und so richtig an, sie in den Armen zu halten. Sie schien dorthin zu gehören, und das war nicht nur körperlich gemeint.
Josh trat aus der Dusche, zog sich an, kämmte sich und ging die Treppe hinunter, wobei er unverändert darüber nachgrübelte, wohin diese Gefühle führen mochten. Nirgendwohin, entschied er. Seine wechselnden Jobs mal hier, mal da ließen keinen Raum für eine Beziehung. Seine Gedanken waren so schwer wie seine Schritte, als er den Frühstücksraum betrat, und insgeheim wünschte er sich, die Dinge lägen anders. Aber das würde nie der Fall sein.
Abby, die schon am Tisch saß, blickte auf, als er hereinkam. » Guten Morgen « , begrüßte sie ihn.
Offensichtlich war sie in einer deutlich besseren Stimmung als am Morgen zuvor, genau wie er selbst.
» Morgen. « Er erwiderte ihr Lächeln.
» Kaffee? « , fragte Jo Marie, als sie mit einer gläsernen Kaffeekanne in der einen und einem Krug Orangensaft in der anderen Hand den Raum betrat.
» Ja, beides bitte. «
Sie füllte seine Tasse mit Kaffee und das Glas mit Orangensaft.
» Heute Morgen gibt es French Toast und Rührei « , verkündete sie.
» Und süße Brötchen frisch aus der Bäckerei « , fügte Abby hinzu. » Ich war furchtbar gierig und habe von allem probiert. «
» Erst mal nur Kaffee und Saft. «
Dann meinte er die Stimme seiner Mutter zu hören, die ihn mahnte, am Morgen vor der Schule ordentlich zu essen. Was er stets zu umgehen suchte und sich meist mit einem Bissen Toast oder einem Obst aus dem Haus schlich.
» Vielleicht doch ein bisschen Rührei « , bat er zu seiner eigenen Überraschung. Wenn seine Mutter ihn jetzt sehen könnte, würde sie sich freuen, dass ihre Vorhaltungen nach so langer Zeit endlich Wirkung zeigten.
Als Jo Marie ihm kurz darauf einen Teller mit frischem, lockerem Rührei brachte, nahm er ihn lächelnd entgegen und aß alles bis auf den letzten Krümel auf. Zu seiner eigenen Überraschung.
Anschließend musste er gleich los, denn Michelle und er waren für neun Uhr verabredet. Er stand auf und machte Anstalten, seinen Teller in die Küche zu tragen, doch Jo Marie hielt ihn zurück. » Heben Sie sich das für zu Hause auf – hier erledige ich das. «
Er stellte den Teller wieder ab, lächelte dankbar und ging zur Tür. » Einen schönen Tag allerseits. Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme. «
» Dann plane ich für Sie nichts zum Abendessen? « , fragte Jo Marie.
» Nein, das ist zu ungewiss. Nochmals einen schönen Tag. «
» Den werde ich haben « , erwiderte Abby so bestimmt, dass er sie aufmerksam ansah.
» Gut. « Er streifte seinen Mantel über, griff nach seinem Schal und war schon zur Tür hinaus. Sie sahen ihm durchs Fenster nach, wie er mit langen Schritten zu seinem Auto eilte.
Noch immer weilten seine Gedanken bei Michelle.
Sie hatten nicht über das gesprochen, was zwischen ihnen vorgefallen
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