Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
der im Büro gewartet hat.«
»Das war ein Anwalt. Er stellte mir alle möglichen Fragen nach meiner Familie und wollte wissen, wie lange wir schon in Montana leben und wo unsere Mutter ist. Dann sollte ich meine Brüder beschreiben. Aber ich fand, das alles würde ihn nichts angehen.«
»Hat er erklärt, warum er’s wissen wollte?«
»Er erzählte mir, es würde um ein großes Erbe gehen, und ich sei vermutlich eine jahrelang vermisste Verwandte. Beunruhigt dich das?«
»Ein bisschen. Es gefällt mir nicht, wenn man sich für uns interessiert.«
»So schlimm war’s gar nicht«, versuchte sie ihn zu besänftigen.
»Zuvor hatte Eleanor mich die halbe Nacht wach gehalten, über irgendeinen Affront gejammert und mich dran gehindert, für meine Englischprüfung zu lernen. Aber weil dieser Anwalt zu Besuch kam, wurde ich erst am nächsten Tag geprüft.«
»Ich dachte, du wolltest dich nicht mehr mit Eleanor abgeben.«
»Das hatte ich auch nicht vor. Leider wollte kein anderes Mädchen das Zimmer mit ihr teilen. Und so flehte mich die Schulleiterin praktisch auf Knien an, Eleanor wieder bei mir aufzunehmen. Armes Ding! Sie hat so ein gutes Herz, wenn sie’s auch meistens versteckt. Es ist nicht leicht, mit ihr auszukommen.«
»War sie so hysterisch und extravagant wie eh und je?« Schon oft hatte Mary Rose ihre Brüder mit Geschichten über Eleanors Possen amüsiert.
»O ja. Ob du’s glaubst oder nicht, sie verließ die Schule eine Woche vor den anderen, ohne sich zu verabschieden. Irgendwas stimmte nicht mit ihrem Vater, aber sie wollte mir nicht verraten, was los war. Fünf Nächte lang weinte sie sich in den Schlaf, dann verschwand sie. Ich wünschte, sie hätte sich mir anvertraut, und ich wäre gern bereit gewesen, ihr zu helfen. Nach ihrer Abreise fragte ich die Schulleiterin, was das zu bedeuten habe. Sie wollte mir auch nichts erzählen, aber sie verzog angewidert die Lippen. Eleanors Vater hatte beabsichtigt, der Schule eine größere Summe für den Anbau eines neuen Schlafsaals zu spenden. Nun erklärte mir die Direktorin, darauf müsste sie nun verzichten.« Nach einer kleinen Pause fügte Mary Rose hinzu: »Und jetzt muss ich dir was gestehen. In der Nacht, bevor Eleanor wegfuhr, forderte ich sie auf, nach Rosehill zu kommen, wenn sie irgendwann meine Hilfe braucht.«
»Warum, um Himmels willen?«, fragte Cole.
»Sie schluchzte so herzzerreißend und tat mir Leid. Aber keine Bange, sie kommt sicher nicht auf unsere Ranch. Für ihren Geschmack ist die Wildnis hier draußen viel zu unzivilisiert.« Seufzend runzelte sie die Stirn. »Ich bin ihr schon ein bisschen böse, weil sie einfach abgereist ist, ohne mir auf Wiedersehen zu sagen. Immerhin war ich ihre einzige Freundin in der Schule. Nun ja, reden wir nicht mehr von ihr. Dieser Anwalt ist viel interessanter. Glaubst du, er wird sich nach uns erkundigen?«
»Allerdings. Reg dich nicht auf«, fügte er rasch hinzu, als er ihre bestürzte Miene sah. »Darum kümmern wir uns erst, wenn’s so weit ist.« Dann wechselte er das Thema und erzählte von der Ranch. Während Mary Roses Abwesenheit hatten die Brüder noch ein Stück Land erworben. Gerade kaufte Travis in Hammond das Material, das sie benötigten, um das Weideland für die Pferde einzuzäunen. Wenige Minuten später erreichten sie Rosehill.
Mit acht Jahren hatte Mary Rose ihrem Zuhause diesen Namen gegeben. Auf einem nahen Hügel fand sie Blumen, die sie für Rosen hielt. Darin sah sie eine Botschaft des Allmächtigen, der ihnen mitteilen wollte, sie dürften dieses Stück Land niemals verlassen. Adam wollte ihr die Freude nicht verderben und verschwieg, dass es keine Rosen, sondern nur gewöhnliche Stechapfelblüten waren. Außerdem dachte er, wenn seine Schwester die Ranch taufte, würde ihr das ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit geben. Bald war das Clayborne-Anwesen in ganz Blue Belle mit diesem fantasievollen Namen bezeichnet worden.
Rosehill lag inmitten eines Tals, im Herzen von Montana. Rings um das Haus erstreckte sich flaches Land. Adam hatte beschlossen, das Heim der Claybornes im Zentrum dieser Ebene zu errichten, damit sich niemand unbemerkt nähern konnte. Von Überraschungen hielt er ebenso wenig wie seine Brüder. Um völlig sicherzugehen, baute er sogar einen Wachturm.
Im Norden und Westen grenzten majestätische Berge mit verschneiten Gipfeln an die Wiesenflächen. Die niedrigeren Hügel im Osten konnte man nicht als Weideland benutzen. Dort gingen Trapper auf
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