Rosen für Apoll
faszinierende Erscheinung; nie aggressiv wie Themistokles, immer maßvoll; nie — bildlich gesprochen — schweißbedeckt wie Themistokles, immer lavendelduftend. Unter ihm wurde man nicht mächtig, unter ihm war man es. Er bezwang nicht das Schicksal wie Themistokles, er schien von seinem Konto abzuheben.
Nach diesem letzten Satz werden Sie verstehen, daß ihn das Volk liebte. Das Volk hebt gern ab.
Dennoch ist es erstaunlich, daß nicht Themistokles, sondern Kimon gewählt wurde. Es ist erstaunlich, aber erklärlich: Sparta bohrte. Das wird nicht nur daran deutlich, wie man Themistokles langsam mißkrechtierte und kaltstellte, sondern noch viel mehr an der Gestalt seines Nachfolgers. Kimon war mit einer Tochter aus dem Hause der Alkmaioniden verheiratet, die immer antidemokratisch und prospartanisch gewesen sind; und seinen ersten Sohn hatte er Lakedaimonios, »Spartaner«, getauft! Der Umschwung Athens zur Spartafreundlichkeit, zur Illusion eines möglichen Zusammengehens, hat die Athener viele Umwege gekostet; aber das war nicht das Schlimmste: Er hat sie Themistokles gekostet.
So kommt ein Gefühl der Abneigung gegen Kimon zustande. Ich teile es. Jedoch bald werden wir uns nach solchen Männern sehnen. Er war einer der letzten Gentlemen der athenischen Geschichte, und sein Bild vergoldet sich, sobald man in der nachperikleischen Zeit unter den Proleten herumwühlen muß.
Kimon segelte also los und säuberte Thrakien und den Hellespont von den Persern. Er erledigte die Aufgabe fehlerlos. Ein sehr großes Kunststück war sie nicht.
Am Bosporus traf er unerwartet einen alten Bekannten von uns, den wir aus den Augen verloren haben. Kimon fand diesen Herrn in dem ehemals persischen Stützpunkt Byzanz vor, wo er sich häuslich niedergelassen und in aller Stille ein kleines Privatfürstentum errichtet hatte. Sie werden nicht ahnen, wer es war: Pausanias, der Sieger von Platää. Vor Jahren sollte er im Auftrag Spartas tun, was jetzt Kimon für Athen tat, nämlich den Bosporus befreien. Das hatte er auch getan, plötzlich aber war er zum Abenteurer geworden. Er hatte die Flotte zurückgeschickt und war in Byzanz geblieben.
Die ganze Geschichte kam seinen Zeitgenossen, vor allem den Spartanern, vollständig verrückt und verantwortungslos vor. Man hielt ihn für übergeschnappt.
Er war es sicher nicht. Er war ein Zuspätgeborener. In ihm brach noch einmal das Konquistadorenblut durch. Er versuchte nichts anderes als das, was viele vor ihm getan hatten. Er war, wie seine Vorbilder, in die »Wildnis« gefahren, dorthin, wo noch Land zu haben war. Die Zeit, in der man noch Fürstentümer gründen und sich selbst unter die Könige einreihen konnte, lag erst achtzig Jahre zurück. Dennoch war sie endgültig vorbei. Pausanias sollte es sofort merken. Die Zeit, in der er lebte, betrachtete sich als fertig, als abgeschlossen, als stabilisiert und duldete keine privaten Experimente mehr. Pausanias scheiterte an der Aufgeklärtheit des Volkes, für das der »Gotha« fertig ausgedruckt war. Wie heute. Er scheiterte auch an dem ganz modern anmutenden Anspruch der Staaten, die Welt nur noch dienstlich zu betrachten und weiße Flecken auf der Landkarte ausschließlich als Staatsangelegenheiten anzusehen. Pausanias’ Zeitgenossen hielten die Vorstellung, jemand könne sich einfach aus der Bürgerschaft lösen und einen eigenen Staat bilden, für »mittelalterlich«. Kimon machte ihm daher auch sofort klar, daß es stets Sache eines Staates sei, etwas zu besetzen. In diesem Falle natürlich Athens. Und die Ephoren nahmen die Gelegenheit wahr, ihren einstigen Kriegshelden noch einmal aufzufordern, nach Sparta zurückzukehren und sich vor Gericht zu verantworten. Das tat er! Er tat es so überraschend, daß es den Ephoren die Sprache verschlug. Er war wieder da, ging herum, als sei nichts geschehen, ganz der Alte. Die Ephoren, ursprünglich entschlossen, an ihm ein Exempel zu statuieren, hatten nichts vorbereitet. Es sah aus, als sei die ganze Angelegenheit erledigt.
Aber sie war nicht erledigt. Die Ephoren haben zwei Dinge nicht mehr aus den Augen verloren: ihren eigenen Helden, der aus der Reihe getanzt und sich außerhalb des »Kosmos« gestellt hatte, zur Abschreckung für alle Zeiten zu bestrafen und Themistokles, der der größte Staatsmann, aber eben der des Feindes war, zu beseitigen.
471/70 traf Themistokles aus heiterem Himmel der Ostrakismos. Er begab sich in keinen der nordgriechischen perserfreundlichen Staaten,
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