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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Die Schätze und die Genüsse der Welt kommen zu uns; sie sind unser.
    In ernsten Zeiten, auch dann sind wir anders als alle anderen. Immer noch, auch wenn Kriege drohen, stehen unsere Tore aller Welt offen. Niemals hat ein Fremder, ein Gast, erlebt, daß wir ihn ausgewiesen. Wir haben keine Heimlichkeiten; nicht weil wir den Feinden vertrauen, sondern weil wir uns, uns und dem eigenen Mut vertrauen. Wir stehen oft allein; die Spartaner nie. Das tut nichts. Mag sein, daß dieses Wort leichtblütig klingt, aber ein leichtes Herz ist schöner als ein bedrücktes. Wir werden Leiden und Mühen nicht weniger tapfer ertragen als die, die sich und ihr Leben fortwährend zerquälen.
    Ja, unser Geist betet das Schöne an; wir lieben es mit Selbstverständlichkeit. Mit Einfachheit. Wir lieben das schöne Leben, das ist wahr. Aber schönes Leben ist für uns nicht Reichtum. Man kann auch arm sein. Schlecht ist nur ein Leben, in dem die Armut aus der Trägheit kommt. Das ist nicht das Leben eines Einsiedlers, sondern eines Parasiten. Das ist nicht unseres Geistes. Unsere Art ist: zu handeln. Unseres Geistes ist: zu wagen. Gefahr und Genuß — wer um diese beiden Dinge weiß und sie klar sieht, der weiß, was leben heißt!
    In einem einzigen Satz kann ich euch sagen, was Athen ist: die Hohe Schule für ganz Griechenland.
    Ich sage euch, und ich sage es ohne Prunk: Diese Stadt wird, alles überragend, die alten Sagen zur Wirklichkeit werden lassen. Wir werden den Zeitgenossen zeigen, von wem sie besiegt sind, und der Nachwelt die Bewunderung abzwingen! Es wird kein Homer sein, uns zu besingen, aber wir werden auch keines Homer bedürfen!
    All dessen waren sich die bewußt, an deren Gräbern wir hier stehen. Um es sich nicht rauben zu lassen, haben sie ihr Leben hingegeben. Um es uns nicht rauben zu lassen, werden wir Überlebenden zu gleichem entschlossen sein. Deshalb habe ich von diesen Dingen gesprochen: Die Toten wußten, was sie verteidigten. Kein anderer setzt sein Leben für einen so hohen Preis ein wie wir. Und alles, was ich zum Ruhme Athens gesagt habe, ist zugleich zum Ruhme der Gefallenen geworden. Sie haben dem Staat den höchsten Tribut geleistet, den man leisten kann; sie wurden auch das Höchste, was man werden kann: Helden.
    Die Überlebenden aber sollen, wenn sie auch um ein gnädiges Geschick beten mögen, keine minder große Gesinnung zeigen. Ich rede nicht dem Wahn das Wort, daß der Tod vor dem Feind köstlich sei; ich rede einer Wahrheit das Wort: daß es zu allen Zeiten ein unentrinnbarer Zwang ist, das, was man liebt, verteidigen zu müssen — auch mit dem Leben. Das Grab, in dem die Gefallenen hier ruhen, ist uns heilig. Heiliger noch wird uns aber die Erinnerung an sie sein. Großer Männer Grab ist die ganze Erde, nicht bloß die eine Stätte, nicht bloß eine Grabsäule, nicht bloß eine Inschrift. Das größte Denkmal ist das Gedächtnis.
    Ihr Väter und Mütter der Toten aber, ihr sollt nicht länger trauern, ich will euch trösten. Ich weiß, es ist schwer, andere in einem Glück zu sehen, das ihr verloren habt. Was man besessen hat, ermißt man erst im Verlust. Aber es kommen — und ich wünsche es auch für euch, die ihr ja noch nicht alt seid — neue Geschlechter, die euch das Verlorene verschmerzen lassen werden. Wem aber das Glück der Erneuerung seines Geschlechtes nicht mehr beschieden ist, der mag der Jahre gedenken, in denen er glücklich war und die heute sein sicherer Besitz sind. Lebt in der Erinnerung und lebt in der Ehre. Schwerer — so will ich fast meinen — haben es die Söhne und Brüder der Gefallenen. Sie werden lange im Schatten der großen Toten stehen.
    Ihr Frauen aber, die ihr nun im Witwentum leben werdet, ihr sollt wissen, daß wir nichts von euch erwarten, was eure Natur und das weibliche schwache und zarte Herz verleugnen würde. Ihr braucht nicht hart und nicht stark zu sein. Nur an eines mahne ich euch: Die Frau unter euch wird mir am höchsten stehen, von der man am wenigsten sprechen wird.
    Ich habe nun gesagt, was das Gesetz mir gebot.
    Wir wollen den Toten die letzten Gedanken weihen und dann gehen.«

    *

    Im Frühjahr 430 rückte das spartanische Heer zum zweitenmal heran. Wieder zogen die Flüchtlingsströme nach Athen. Die Tore hatten sich kaum geschlossen, da waren die Spartaner da. Wie im Jahre zuvor ließen sie die Stadt unberührt liegen und verwüsteten das Land. Diesmal taten sie es gründlich, vernichteten die Saat bis auf den letzten Halm, rissen

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