Rosen für Apoll
inszenierten sie mit Inbrunst und schwelgten in Aufzügen, feierlichen Riten und formvollendeten Ansprachen. Von morgens bis abends war man in der blumengeschmückten Stadt auf den Beinen, und beim festlichen Staatsakt konnte man endlich einmal wieder das ganze Athen sehen; da erschien vollzählig der Adel und das vornehme, exklusive Patriziat, da sah man die Schar der Jünglinge und Knaben, und da entließen die Häuser sogar die jungen Mädchen aus ihrer Zurückgezogenheit. Und dann natürlich die vielen berühmten Namen! Dort ging Perikles, da drüben standen Sophokles, Euripides und der junge Aristophanes; dort sprach Xenophon mit Thukydides; jene Gruppe waren die Bildhauer Alkamenes, der den Parthenonfries geschaffen hatte, Kresilas und Kallimachos; dort stand der Philosoph Kritias, von dem noch niemand ahnte, daß er einmal Diktator würde; dieser dort war der junge Alkmaionide Alkibiades, und der, mit dem er sprach, war Sokrates. War Athen nicht ein Olymp voller Unsterblicher? Ein Himmel voller leuchtender Sterne? Und die Mädchen? Und die Paides? War es nicht, als habe die Akropolis sich eine dreifache Perlenkette umgelegt? Und die Krieger, dieses Wogen wehender Helmbüsche? Und von ferne die Menge der gaffenden Sklaven und aufgeputzten Fremden, die von weit hergekommen waren, um Perikles zu hören? Welch ein Tag!
Seine Rede ist in der Überlieferung von Thukydides berühmt geworden. Sie ähnelt so ganz und gar nicht den Staatsreden, wie sie früher an Heldengedenktagen gehalten wurden; sie war ein Rechenschaftsbericht, das Resümee eines Lebens, die Inventur eines Staates. Aus dem Munde des Perikles selbst hören wir, wie sich Athen in seinen Augen spiegelte, wie es lebte, dachte und sprach. Die Rede klingt erstaunlich nüchtern und frei von Pathos; aber Sie werden die Wirkung verspüren! Auch auf die Athener muß der Eindruck, verbunden mit der olympisch-schönen Erscheinung des alten Perikles, außerordentlich gewesen sein. Als er die Rednertribüne verließ, wurden ihm von den Frauen und Mädchen Blumen auf den Weg gestreut.
Wir aber, wir wollen aufmerksam und wachsam nicht nur auf die betörend schöne Form, sondern auch auf den Inhalt achten; denn, meine Damen und Herren, ein Athener, ein großer, göttlicher Lügner spricht zu Ihnen!
Perikles’ Rede auf die Gefallenen (Auszug)
»Alle, denen je die Ehre zuteil wurde, die Gedenkrede auf die Toten eines Krieges zu halten, pflegen das Gesetz, das uns diesen Nachruf zur Pflicht macht, zu preisen. Es scheint ihnen ein Zeichen zu sein, daß wir die Gefallenen zu ehren wissen. Mir aber scheint eine Tat nur wieder durch eine Tat geehrt werden zu können. Worte könnten eine Ehrung sein, aber wer findet Worte, die einer Heldentat entsprechen? Wer weiß das Maß der Dinge, und wer die Wahrheit? Euch, die ihr dabei wart, scheinen alle Worte hinter der Wirklichkeit zurückzubleiben; andere wird es geben, denen sie ungut in den Ohren klingen, hohl, übertrieben vielleicht. Wir glauben das nur zu gerne, sobald die Dinge, von denen gesprochen wird, über unsere eigene Kraft gehen. Ich werde, indem ich die Pflicht des Gesetzes erfülle, bei meinen Worten an den einen denken wie an den anderen.
Wenn wir von den Toten der Kriege sprechen, so ist es gerecht, zuerst der Generationen zu gedenken, die uns von ewigen Vorzeiten her durch ihr Opfer die Heimat bewahrt und geschenkt haben. Wärmer noch ist der Dank, den wir gegenüber unseren Vätern fühlen. Das, was sie uns hinterlassen haben, haben nun wir selbst vollendet — wir, die wir hier stehen. Von dem Geist, der uns beseelt, von dem Geist, der alles geschaffen hat, möchte ich sprechen, bevor ich zu der Ehrung der Gefallenen schreite.
Wir leben in einem Staat, der ohnegleichen und ohne Beispiel ist. Er trägt den Namen Demokratie mit Recht, denn die Macht liegt nicht in den Händen einiger weniger, sondern in der Hand des Volkes. Sein Wesen ist, daß vor dem Gesetz alle gleich sind, daß er aber dennoch die Berufenen an die Spitze bringt. Nicht Armut und nicht niedrige Geburt — nichts verschließt ihnen den Weg. Wir leben ohne Haß, ohne Neid; Kränkung, Böswilligkeit, Unfriede gelten als geächtet, Willkür, vor allem gegen die Schwachen und Notleidenden, ist unseren Herzen und damit den Gesetzen zuwider.
Wir haben uns einen fröhlichen Geist bewahrt. Wir lieben Feste und Spiele, wir lieben unser Zuhause, die kleine Quelle unserer Freuden, und wir lieben diese Stadt, die große Quelle unserer Freuden.
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