Rosen für Apoll
sagen, daß er ein Brechmittel war — ich habe ja auch angeblich ein hochmütiges potsdamsches Herz.
Aber, denken Sie an, ich finde Kleon bewundernswert! Sein abgekauter kleiner Finger ist mir lieber als die ganze manikürte Hand der Alkmaioniden.
Kleon war angeblich ein »Demagoge reinsten Wassers«. Wie töricht! Der Begriff »Demagoge« setzt doch voraus, daß jemand trotz besseren Wissens und Gewissens die Leidenschaften und niederen Regungen der Masse mißbraucht. Kleon aber trug vollkommen ehrlich seine eigenen niederen Regungen vor, sie deckten sich mit denen der Masse. Er hielt sie auch nicht für niedrig, er hielt sie für prima. Daher sein Mut zur Konsequenz. Er war brutal — das ist der Masse, wenn sie wütend ist, ein logischer Genuß; er war undiszipliniert — natürlich, sonst wäre er ja kein Prolet gewesen. Plebs hält sich nicht im Zaum, er reißt sich nur zusammen, wenn etwas weh tut. Ist das neu? Sie werden später lesen, wie Kleon nach einer großsprecherischen Rede durch Nikias gezwungen wird, sich als Oberbefehlshaber an die Spitze einer Flottenexpechtion gegen Sparta zu setzen — er tat es; nicht aus Disziplin, sondern weil seine Wut über die Situation größer war als der Trieb zurückzuzucken; er tat es und brachte einhundertzwanzig Spartiaten gefangen (!) nach Athen.
Er war mutig, er war klug. Und was ich jetzt sage, ist sicherlich Ketzerei: Ich halte ihn für klüger als Perikles. Ich führe als Beweis gerade das an, was ihm charakterlich immer zur Last gelegt wird: Er war zuerst gegen den Krieg, der ja Perikles’ Krieg war, und ab 429 für den Krieg. Das war richtig.
Ja, er war ein Prolet. Er war die Quittung für die Nullen, 254 die ein alter Mann, der zu lange und zu monoton regiert hatte, hinterließ.
*
Das Jahr 428 begann böse für Athen. Lesbos, die große reiche Insel, löste sich aus dem Seebund!
Am erregtesten war Kleon. Es war keineswegs so, daß Oberregierungsräte ihm erst zu sagen brauchten, welche Folgen der Abfall von Lesbos nach sich ziehen konnte; er war klug genug, es selbst zu sehen. Infolgedessen tobte er vor der Volksversammlung herum und verlangte nicht nur, daß Lesbos zum Gehorsam und zur Tributzahlung zurückgebracht, sondern daß ein abschreckendes Exempel statuiert würde.
Die Athener zogen sofort das Schwert, haßerfüllt wie gegen den ärgsten Feind. Vom politischen Standpunkt aus eine erklärliche Reaktion, vom menschlichen eine abscheuliche.
Nikias, der offizielle Stratege, schickte die Flotte los. Die Aktionen verliefen jetzt nicht mehr so einfach; die Pest hatte die Truppen dezimiert, und die Kriegskasse war leer. Wären die ionischen Städte entschlossener gewesen, so hätten sie sich alle befreien können.
Aber Lesbos stand allein. Die Hauptstadt Mytilene wurde eingeschlossen und belagert. Sparta, bestens unterrichtet, versuchte die Lesbier dadurch zu unterstützen, daß es mit dem Heer zum viertenmal in Attika einfiel. Gleichzeitig fuhren die korinthischen Schiffe gegen den Piräus auf. Nikias wurde nervös; dem bulligen Kleon war das alles gleichgültig. Er setzte durch, daß die Belagerung weiterging.
Nach einigen Monaten mußte Mytilene kapitulieren. Athen jubelte, Kleon hielt eine peitschende Rede und verlangte, sämtliche Männer Mytilenes hinzurichten und die Frauen und Kinder als Sklaven zu verkaufen. Der Beschluß wurde gefaßt — man war im Rausch, im Taumel.
Am nächsten Tage, als man ausgeschlafen hatte, rieb man sich verwirrt die Augen. Auch Kleon war ruhiger geworden und maulte nur herum, als man sich noch einmal zusammensetzte und den Hinrichtungsbefehl überprüfte. Vielleicht erinnerte man sich der früheren Zeiten, vielleicht sah man plötzlich erschrocken, was von dem Geist der homerischen Griechen übriggeblieben war, jedenfalls wurde das Urteil zurückgenommen. Der Befehl, der nach Mytilene ging, war nun »milder«: Eintausend führende Mytilener wurden hingerichtet, ganz Lesbos (mit Ausnahme der »treu« gebliebenen Stadt Methymna) enteignet und das Land dreitausend Attikern geschenkt, die jetzt die früheren Besitzer auf ihrem Boden arbeiten ließen. Lesbos war aristokratisch regiert gewesen: Süßer konnte also die Genugtuung nicht sein. Wie hat Oswald Spengler einmal geschrieben? »Daß der Plebs von gestern nun an der Tafel der Herren schwelgt, ist nur halber Genuß: Die Herren müssen ihm dabei aufwarten!«
Die Spartaner servierten sofort und brutal die Quittung; sie richteten die Besatzung Platääs hin,
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