Rosen für Apoll
die Weinstöcke aus und schlugen die Olivenbäume um. Attika war wie abrasiert. Perikles entschloß sich, noch während der Anwesenheit der Spartaner, mit einem Teil der Flotte auszulaufen, um im Rücken der Feinde die peloponnesische Küste zu plündern. Die Expechtion stand unter seiner persönlichen Führung. Hundert athenische Schiffe mit viertausend Hopli-ten griffen zuerst Epidauros an in der Hoffnung, das nahe Argos würde vielleicht helfend eingreifen. Die Hoffnung trog. Sie trog auf der ganzen Linie; Epidauros wehrte den Angriff ab.
Perikles segelte weiter und rumorte an der Küste hier und da herum, ohne eine Invasion wagen oder die in Attika stehenden Spartaner im geringsten beunruhigen zu können. Alles war eine Halbheit. Er sah ein, daß es so nicht ging, und machte kehrt.
Er fand die Spartaner nicht mehr vor; in Athen war inzwischen die Hölle losgewesen! Frachtschiffe hatten aus dem Orient die »Pest« eingeschleppt. Die Epidemie war mit furchtbarer Gewalt ausgebrochen und hatte unter den zweihunderttausend zusammengedrängt lebenden Menschen schrecklich gewütet. Die Sterbenden hatten hilflos in allen Gassen und auf allen Plätzen gelegen; die Flüchtlinge, ohne Haus, ohne Hilfe, ohne einen Flecken Erde, wo sie hätten gepflegt werden können, waren verkommen, wo sie lagen. Unter den Opfern befanden sich auch die beiden Söhne des Perikles aus dessen erster Ehe. Die heutigen Mediziner vermuten, daß es sich um Lungenpest, wahrscheinlich aber nur um Typhus gehandelt habe. Gegen beides war man hilflos.
Die Spartaner hatten von den entsetzlichen Vorgängen nichts gemerkt, bevor ihnen die ersten Kranken in die Hände fielen. Sie töteten sie sofort und verließen fluchtartig Attika.
Als Perikles zurückkehrte, war die Epidemie bereits im Erlöschen; das Volk erwachte gerade aus der Lethargie und fand seine Wut wieder. Im Nu war man in einem Zustand, der sich entladen mußte — auf dem Haupte eines Schuldigen; das war klar. Früher hätte man homerische Gesichte vom bogenschießenden Apoll gehabt; man hätte sich an die Brust geschlagen. Jetzt schlug man sich an die Stirn. Früher hätte das Volk vor dem Altar angeklagt. Jetzt klagte es vor Gericht. Der Schuldige war Perikles; darüber war man sich einig.
Die Volksversammlung setzte ihn als Strategen ab, der öffentliche Ankläger zitierte ihn vor ein Sondergericht. Es bestand aus i 501 Bürgern, aus 1 501 mißlaunigen, wütenden, von ihren eigenen enttäuschten Wünschen und vernichteten Hoffnungen verhetzten Männern.
Eine Anklage war schwer zu erfinden. Man griff daher jämmerlicherweise auf die altbewährte Formel zurück, die schon so vielen das Genick gebrochen hatte: Man beschuldigte Perikles der Unterschlagung von Staatsgeldern. Der Ankläger forderte die Todesstrafe.
Nachdem die 1 501 die Süße genossen hatten, den Ersten Mann des Staates, den Lenker ihrer Geschicke, den Liebling des Volkes zu demütigen, kamen sie zu einem wenigstens nicht ganz und gar jakobinischen Urteil; sie enthoben ihn nur aller Ämter und verurteilten ihn zu einer Strafe von fünfzig Talenten.
Die ganze tragische Prozedur scheint schnell und lautlos vor sich gegangen zu sein; Thukydides überliefert uns kein Wort aus Perikles’ Mund. Schweigend nahm der alte Mann die Anklage und schweigend das Urteil entgegen.
Als er gegangen war, stellte sich heraus, daß er keinen Nachfolger herangezogen hatte. Alte, despotische Männer fühlen sich unter Nullen wohl.
Das Staatsschiff schaukelte also mit den Restbeständen an Perikleischen Plänen durch den Winter. Man verlegte den Korinthern die Kornzufuhr aus Sizilien und hatte auch einen »schönen Erfolg« hoch im Norden, auf der Halbinsel Chalkis. Man brachte eine revoltierende Stadt zur Räson, metzelte Einwohner hin, wurde auf dem Rückmarsch angegriffen, geschlagen und nun selbst hingemetzelt; man fing auch eine Gesandtschaft Spartas ab, die auf dem Wege nach Persien war, brachte sie nach Athen und machte sie einen Kopf kürzer.
Als im Frühjahr 429 Archidamos mit dem spartanischen Heer zum drittenmal erschien, war die Ratlosigkeit der athenischen »regierenden« Hammelherde so deutlich geworden, daß man nichts mehr dabei fand, nun auch noch die Schamlosigkeit auf die Spitze zu treiben und Perikles wieder zum Strategen zu berufen.
Er war wieder da! Die Nachricht lief durch die Stadt und ließ die Hoffnungen steigen. Der Vater und die Kinder waren sich wieder gut! Alle atmeten auf.
Die Hoffnung trog. Der alte,
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