Rosen für Apoll
müde, gebrochene Mann hätte nein sagen sollen. Zweiunddreißig Jahre hatte er regiert. Er wäre wie ein Gentleman abgetreten. Aber er blieb wie ein Minister.
Das Volk wartete, daß große Dinge geschehen würden. Was sollte geschehen? Perikles wußte so wenig einen Ausweg wie alle anderen. Er war krank, zu krank.
Der Sommer schleppte sich hin, ohne daß sich die Lage der zweihunderttausend in Athen Zusammengepferchten geändert hätte. Sie waren sicher wie in einem Tresor; und am Ersticken wie in einem Tresor. Sie hatten den Krieg, die Scherereien, die Entbehrungen, die Epidemie, kurz, alles satt und wollten ein Ende sehen. Der verwöhnte athenische Plebs (denn von Platää, Theben, Megara, Sparta hören wir bezeichnenderweise nichts dergleichen) haderte mit Gott und der Welt, außer mit sich.
Man beschloß, Schluß zu machen; und mit der ganzen Frische derer, die eine günstige Okkasion anbieten, streckte man Sparta über die Mauer die Hand hin. Sparta lehnte eisig ab. Angesichts dieser neuen ausweglosen Lage und ehe das Volk auf den Gedanken kam, sich erneut auf einen »Schuldigen« zu besinnen, schickte sich Perikles an, das zu tun, was ihm jetzt wohl am liebsten war: zu sterben. Die »Pest« hatte auch noch ihn ergriffen, als eines der letzten Opfer.
Im August 429, siebzig Jahre alt, wurde er von seinem geliebten Volk erlöst. Es konnte nun nichts mehr von ihm fordern — wie schön.
Athen war bestürzt — erschrocken — wehmütig — betrübt; der Pegel der Gefühle scheint rasch gesunken zu sein. Es nahm von keinem Genie, es nahm von einer lieben Gewohnheit Abschied. Perikles hatte seinen Ruhm überlebt.
»Die Götter ersparten ihm zu sehen, wie die Polis, Athen, auf dem Wege, den er ihr gewiesen hatte, blind vorwärtsstürmend zerschellte« (Berve).
... und nicht nur in diesem, läuft der Peloponnesische Krieg weiter. Längst ist vergessen, daß es einmal um das Off limits für Megara ging; die »Großen Zwei« wollen sich an die Gurgel. Dabei werden fleißig die kleinen Zweihundert zertrampelt; und es wäre noch lange keine Erholungspause abzusehen, wenn nicht Apoll eine Idee hätte, die wir auch heute gut brauchen könnten.
Ich muß Sie nun mit zwei Figuren bekannt machen, die vom Frühjahr 428 an für die nächsten Jahre das Ruder in Athen in die Hand nahmen. Dem einen drückte man es in die Hand, der andere riß es an sich. Es sind Nikias und Kleon. Wer der Reißer war, brauche ich wohl nicht zu sagen.
Der andere, Nikias, wird gemeinhin als »vornehm« bezeichnet. Nun — ich stelle es anheim. Im früheren Sinne war er es nicht; im heutigen war er hochfein, denn er war der reichste Mann Athens. Er war damals etwa 45 Jahre alt, natürlich Reserveoffizier, kein schlechter, kein guter, ansonsten bedächtig, friedfertig und — wahrscheinlich — in der geheimen Hoffnung befangen, viel Ähnlichkeit mit Perikles zu haben.
Kleon hätte man mit diesem Vergleich jagen können.
In Geschichtsbüchern wird er gewöhnlich Gerber genannt, »der Gerber Kleon«. Das hätte ihn übrigens nicht gestört, aber mich stört es: Er war Besitzer einer großen Gerberei, und es ist ganz überflüssig, ihn falsch abzustempeln. Innerlich war er ein Prolet. Infolgedessen ergießt sich über ihn der ganze Hohn und die ganze Verachtung der Historiker. Daß er schon zu seinen Lebzeiten von Aristophanes auf der Bühne karikiert und von Thukydides mit milder Ironie behandelt wurde, scheint die Spötter aller Zeiten in ihren Lachsalven über den Rüpel und Dummkopf Kleon zu bestätigen.
Ich muß Ihnen gestehen, daß ich auf diesen Moment gewartet habe! Hören Sie zu:
Kleon war ein Mann »aus dem Volke«; mit Kleon tritt endlich »das Volk« in Reinkultur auf. Mir scheint: Es steht ausgerechnet denen, die fortwährend die Augen nach der »Volksherrschaft« verzückt verdrehen, schlecht an, den Repräsentanten des Plebs wegen seiner plebejischen Eigenschaften abzulehnen und zu verhöhnen. Es sind doch jene gesunden Eigenschaften und urwüchsigen Formen, vor denen sonst alle Demagogenherzen wie Butter schmelzen! Denn so ist es ja doch wohl nicht, daß die Volksherrschaft nur zum Gebrauch für verkrachte Akademiker und Funktionäre erfunden wurde. Meine Herren, sie war wörtlich gemeint! Und wir wünschen, daß den Volksherrschafts-Aposteln der Herr Kleon nicht nur dann gut riecht, wenn er vor ihnen unten in der Menge steht, sondern auch, wenn er nun mit bei Tische sitzt! Ich allerdings, ich könnte es mir erlauben zu
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