Rosen für eine Leiche (German Edition)
ich, denn auch ich, wie Sie vielleicht wissen, war vor
Jahren Leiter des Kommissariats 1
in Rosenheim. Sozusagen der Urgroßvater des Verstorbenen.« Der Präsident ließ
den Blick schweifen. »Sebastian Scholl hinterlässt seine Frau Birgit,
Ferdinand, seinen achtjährigen Sohn, und sein Vater trauert um ihn.«
Die Hinterbliebenen standen auf der anderen Seite des Sargs. Ein
distinguiert wirkender Herr um die siebzig mit vollem weißem Haar, die Witwe,
gefasst, im schwarzen Hosenanzug, und Ferdinand, der sich an sie schmiegte.
»Unser tiefes Mitgefühl, verehrte Frau Scholl, gilt Ihnen und Ihrem
Sohn. Ich hab mir sagen lassen, dass Sie und Ihr Mann den Tag genutzt haben. Im
positiven Sinn. Sie haben Ihr gemeinsames Leben nicht aufgeschoben. ›Morgen ist
auch noch ein Tag‹, ist eine schlechte Devise. Denn was, wenn morgen kein Tag mehr
ist? So wie in diesem Fall? Dann bleibt das Leben ein Plan, ein Entwurf, eine
nie ausgeführte Skizze …«
Ottakring musste daran denken, wie ihm während einer Ermittlung
Scholls Schuhe aufgefallen waren. Viel zu große Schuhe und ausgelatscht wie bei
einem alten Mann. Doch immer auf Hochglanz poliert. Er unterdrückte ein Lachen,
das sich durch seinen Hals drängte. Als grunzender Laut kam es oben an.
Zwei, drei Köpfe vor Ottakring klingelte ein Handy. Die Besitzerin
duckte sich. Als sie mit hochrotem Kopf wieder auftauchte, schmunzelte er. Es
war sein Patenkind Chili Toledo. Sie arbeitete in Scholls Kommissariat.
Im K1.
Seit sein Freund Torsten, Chilis Vater, verstorben war, fühlte er sich wie eine
Art Ersatzvater für sie.
Ottakring ließ den Blick weiterschweifen. Bestimmt hundertfünfzig
Menschen ringsum. Wenn nur fünf echte Freunde unter den Trauergästen sind, dann
kann der Tote mit seinem Leben zufrieden sein, dachte er. An einer Thujenhecke
entlang hatte er sich ein paar Meter nach vorn gearbeitet. Eine junge Frau fiel
ihm auf, die sich drüben an die Seitenwand der Halle drückte. Wie in Trance
schaute sie in den grauen Himmel. Schneeflocken hatten sich auf ihrem Haar
gesammelt. Sie trug einen schwanenweißen Anorak mit Goldstickereien, Jeans,
braune Stiefel und keine Handschuhe. Ihre feingliedrigen Hände fielen ihm auf.
Es waren Hände, wie sie Klavierspieler haben.
Zwei Ministranten warteten mit wichtiger Miene darauf, dass der
Pfarrer sich endlich fortbewegte. Einer schwenkte das Weihrauchfass.
Eine Schneeflocke landete auf Ottakrings Nase.
»Sie kommen doch auch nachher mit zum Voglwirt?« Der
Präsident hatte ihm auf dem Weg zum Grab den Arm um die Schulter gelegt. »Ich
hätt Sie gern etwas gefragt.«
»Absolut«, sagte Ottakring und nickte versonnen. Aus seiner Münchener
Zeit kannte er den Polizeipräsidenten von Oberbayern recht gut. Irgendwas war
da im Busch, das spürte er.
Der Voglwirt. Ottakring war ein-, zweimal da gewesen. Wirklich wohl
gefühlt hatte er sich nicht. Die Neigung, Teil der Kulisse für die Prominenten
dieser Welt und ihr Gefolge sein zu wollen, fehlte ihm komplett. »Tor zu den
Alpen« hatte ganz groß vorn auf dem Prospekt gestanden. Ein First-Class-Hotel,
das lange in Rosenheim gefehlt hatte und erst im vergangenen Jahr am südlichen
Stadtrand eröffnet worden war. Eine Art Laufsteg der Schönen und Reichen, ein
Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Schon von fern hörte er Herrn Huber im Porsche bellen. Gemächlich
ging Ottakring auf den fünfundzwanzig Jahre alten orangefarbenen 911E zu. Der
Wagen hatte an die zweihunderttausend Kilometer auf dem Tacho, und jeden Monat
war irgendetwas defekt. Aber Ottakring hatte die Zeit, alles selbst zu
reparieren.
Er warf sich hinters Steuer und fuhr los. Brrrrh, es roch streng
nach Hund. Er kurbelte das Fenster herunter. Herr Huber machte sich lang und
streckte ihm den Kopf hin. Zerstreut kraulte Ottakring ihm die Ohren.
Was wollten die von ihm?
»Gut, dass Sie da sind.« Ohne Zögern kam der Präsident auf
ihn zu. Den Arm ließ er diesmal unten. »Es ist wichtig. Kommen Sie.«
»Wo kann ich meinen Hund für eine halbe Stunde unterbringen?«,
fragte Ottakring den jungen Mann an der Rezeption des Voglwirts, der wie ein
Flugbegleiter gekleidet war.
»Da drüben ist die Hundebar«, säuselte der Angestellte. »Da ist auch
ein Haken, da können Sie ihn anbinden. Wir passen schon auf. Ach, ich mach das
schon für Sie. Komm her, was bist du für ein fesches Hündchen, richtig
entzückend.«
Mit den Gesprächsfetzen in unterschiedlichen Sprachen und dem Duft
von Gebratenem wehte auch ein Flair
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