Rosen für eine Leiche (German Edition)
Scheibe sah sie ihren Mann toben. »Pass doch auf, du blöde Kuh«, las sie von
seinen Lippen. Das Lippenlesen hatte sie gelernt in der Zeit mit ihm. Manchmal
sprach er den ganzen Tag kein Wort, und sie war froh über jede gehauchte Silbe.
Eilig verschwand sie im Stall, um mit zitternden Händen den Kühen
die Melkschläuche anzulegen und den Kälbern über den Kopf zu streichen. Sie
mochte den warmen Geruch ihrer Leiber.
Als ob nichts gewesen wäre, räumte ihr Mann den Mist weg und schob
den Tieren das Futter hin. »Diese verdammte Berufsschule sollte man in die Luft
sprengen«, rief er ihr zu. »Dauernd sind die Lehrlinge weg.«
Am Mittag bereitete sie das Essen für ihn, sich und das Madl zu. Es
gab Fleischpflanzl mit Kartoffelgurkensalat, zum Nachtisch Obstsalat mit Sahne.
Danach einen Kaffee für ihn. Es war Samstag, der 11. Dezember 1993.
Der Milliwagen kam und holte die Milch.
Die Frau hatte noch sieben Stunden zu leben.
Ihr Mann verbrachte den Nachmittag mit Holzmachen im Freien und
Maschinenpflegen im Werkstattraum. Sie reinigte die Melkmaschine, bezog mit dem
Madl die Betten in den Ferienwohnungen und wischte und säuberte. Danach
wechselten sie in den Vasen den künstlichen Almrausch gegen Kunststoffedelweiß
und Plastikenzian aus.
Von vier bis halb sechs wieder Stallarbeit. Die Frau ging ins Haus,
stellte sich kurz unter die Dusche und begab sich in die Küche. Um halb sieben
erwartete der Mann das Abendessen. Das Madl bezog solange die Betten in der
Ostwohnung über dem Bulldogschuppen, stülpte die Bordüren über die
Stofflampenschirme und zog die Fensterläden zu. Dann schloss sie den PC an. Die Gäste, die morgen kamen, hatten danach
verlangt.
»Kannst mir vielleicht helfen?«, brüllte der Mann durch den Flur.
»Ohne Lehrling bin ich aufgeschmissen.« Er hustete laut. Dann kam ein kaum
hörbares »Bittschön!«
Die Frau drehte die Platte mit dem Nudelwasser auf null und rückte
die Schinkenpfanne vom Herd. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und
warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war halb sieben.
»Pack mal mit an!«
Reifen sollte sie stapeln. Hinten an der Wand vom Bulldogschuppen. Die
Wand war voll dunkler Dellen und Kratzer, zur Hälfte war der Putz abgesprungen.
»Dass der Bulldog net andauernd an die Wand hinrennt«, erklärte ihr
der Mann. »So genau kann i des nie berechnen ohne Einweiser.«
Der Kofferradio auf dem Sitz neben ihm spielte ein Lied von Niki
Kirchbichler. »Wie schö-hön die Liab is«, ölte der Sänger. Die Frau wusste,
dass er auch die Gitarre dazu spielte. Sie blinzelte in das helle Kunstlicht
unter der hohen Decke. Die Rückscheinwerfer des Traktors waren auf sie gerichtet.
»Also, du stellst di jetzt vor den Stapel«, schrie er nach hinten
gebeugt vom Fahrerstand herab. »Und sagst mir genau, wenn i nah genug dran bin.
Wenn i genau vor dem Reifenstapel steh. Und wo der Bulldog nimmer an die Wand
hinrennt.«
Der Motorlärm schluckte seine Worte. Sie hatte Mühe, den Bauern zu
verstehen.
Bei jedem Zentimeter, den der riesige grüne Bulldog rückwärts auf
sie zurollte, verstärkte sich das vage Angstgefühl, die beklemmende Vorahnung
in ihrem Kopf, verknotete sich ihr Magen. Sie versuchte, den Tumult in ihrem
Inneren zu dämpfen. Doch sie konnte das Gehirn nicht ausschalten.
Will er mir was antun? In den vergangenen Tagen hatte sie in einer
Atmosphäre ständiger Furcht, Bedrohung und Bestürzung gelebt. Sie schlang die
Arme um den Leib, nicht nur, weil sie fror.
Ihr Mann stellte einen Fuß auf das Trittbrett des Bulldogs und
beugte sich zu ihr. »Stell di vor den Stapel«, rief er. »I will sehen,
ob’s passt.« Dann stieg er wieder hinauf. Seine Gestalt erschien ihr riesig.
Aber es war sicher nur sein Schatten an der Wand, der ihr Angst machte.
Sie griff hinter sich. Krallte die Nägel in den obersten Reifen.
Wozu muss ich mich davorstellen, dachte sie noch.
Der Motorlärm schwoll bedrohlich an.
Magda spürte ein Zerren im Schlund und sah verschwommen den Traktor
näher kommen. Auf sie zu. Sein Schatten an der Wand gegenüber bildete ein
großes Kreuz. Sie wollte um Hilfe rufen. Sie hätte ja nur ein paar Schritte zur
Seite machen müssen. Doch sie war wie gelähmt und blieb stehen und reckte die
Arme dem grünen Ungeheuer entgegen. Als könnte sie es aufhalten. Es war, als ob
unsichtbare Kräfte eine ganze Wand auf sie zuschoben. Eine Wand,
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