Rosen für eine Leiche (German Edition)
deren brutaler
Wucht sie nicht entkommen konnte.
Durch das hintere Kunststofffenster sah sie im Rückspiegel des
Bulldogs das Gesicht ihres Mannes. Nein, es war nicht sein Gesicht. Es war eine
teuflisch verzerrte Fratze.
Magdas Stimme verlor sich im Lärm des Motors. Hab ich’s doch
gewusst, dachte sie, er will mich umbringen. Noch hätte sie neben die Reifen
springen können und flüchten. Doch ihre Beine schienen nicht mehr zu gehorchen.
Ihr Verstand blieb stehen. Sie konnte nur mehr an ihre Tochter denken. Das Madl
befand sich im Stockwerk über ihr und drapierte die Bordüren. Magdas
verschwommener Blick glitt nach oben. Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihre
Hand fuhr zur Schürzentasche. Das Foto wollte sie herausziehen. Ein letztes
Mal. Doch es war zu spät. Ihre Hand schaffte es nicht einmal mehr, das Foto zu
berühren.
Der Stahl des Traktors quetschte ihren massigen Körper gegen die
Wand und begann sie zu zermalmen. Ihr stimmloser Schrei erstarrte. Ihre Augen
traten hervor und wurden größer und größer in dem Maß, wie der Druck das Leben
aus ihrem Leib presste. Blut ergoss sich aus ihrem schweigenden Mund. Sie hörte
die Glocken unten im Dorf das Sieben-Uhr-Läuten anstimmen. Sie läuteten und
läuteten, und ihr schallendes Geläut drang in ihren Kopf, und sie sah das Madl
am Fuß der Treppe stehen. Keine zehn Meter entfernt. Das Madl kauerte sich mit
Augen, aus denen das Entsetzen rief, hinter ein Mäuerchen. Dann öffnete sich
Magdas Mund noch einmal zu einem Schrei, doch der Mund gab keinen Laut von sich
und hing offen, als ihr letzter Lebenshauch in kleinen Blasen aus dem kalten
Traktorschuppen emporstieg und lautlos in die Unendlichkeit getragen wurde.
Das Mädchen starrte auf das Erbrochene vor sich und die
Gallenflüssigkeit, die sich eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt auf dem
Betonboden ausgebreitet hatte. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie sich
übergeben müssen.
Während der Traktor ihre Mutter zermalmte, hatte sie sorgfältig
darauf geachtet, unsichtbar zu bleiben. Nun aber hatte sie das Bedürfnis,
hinauszurennen oder zu ihrem Vater hinzuspringen oder sich über ihre
zerquetschte Mutter zu werfen. Sie tat nichts von dem.
Das Mädchen rannte auf sein Zimmer, griff in die Geheimschublade und
riss den Brief auf, den sie seit zwei Wochen dort versteckt hielt. Keine Träne
trat aus den Augen, doch alles Blut war aus dem Gesicht gewichen, als das Madl
die Zeilen las, die ihr die Mutter hinterlassen hatte.
Sie hörte Geräusche von unten. Der Bulldog fuhr aus dem Schuppen.
Sie ging hinunter und wischte das Erbrochene weg. Der Vater sollte es nicht
finden. Er sollte nicht wissen, dass sie den Mord an ihrer Mutter beobachten
musste.
Er hatte ihren Körper entsorgt, und auch sonst war nichts zu
entdecken.
ERSTER TAG
Das Granteln, die Sturheit, die Bosheit. Ein
Mordsgedächtnis, wenn es darum geht, jemandem etwas nachzutragen. Alles
Eigenschaften, die dem Oberbayern gern unterstellt werden. Doch ein
ausgeprägtes Merkmal des bayrischen Charakters wird oft unterschätzt: die
Allwissenheit.
So wusste Kriminalrat a.D. Josef »Joe« Ottakring schon gleich in der
Früh, dass dieser Tag kein guter werden würde. Er verspürte eine leichte
Gereiztheit, wie bei jener Andeutung von stechendem Schmerz in seinem Rücken,
wenn er einen komplizierten Fall zu lösen hatte. Ottakring stand am offenen
Fenster und blickte nach Osten. Die aufgehende Sonne stand ihm viel zu tief und
blendete. Kreischende Schulkinder mit grässlich bunten Rucksäcken wateten durch
den kniehohen Schnee. Er hatte ja nichts gegen Kinder, aber grad diese …
Rechts verdeckten Häuser und ein paar dunkle Wolken die Sicht auf den Wilden
Kaiser, und selbst wenn diese Hindernisse nicht da gewesen wären, hätte bei
Ottakrings derzeitiger Stimmung das Kaisermassiv die Weitsicht auf die
österreichische Landschaft versperrt.
Vor Kurzem erst war er in die Stadt nach Rosenheim gezogen. Obwohl
ihm die Wohnung in Neubeuern eigentlich sehr getaugt hatte. Aber nach ein paar
Hochzeiten im Saal vom Vornberger, der Marktbeleuchtung mit einem Dauerredner
vornedran, dem Tag der Blasmusik, dem Bierfest der Feuerwehr, der Motorradweihe
und einem »Jedermann« am Bürgel mit dem Dorfpfarrer in der Hauptrolle hatte er
sich ein bunteres Angebot an gesellschaftlichen Ereignissen gewünscht. Das
konnte auch der wunderschöne Neubeurer Marktplatz nicht
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