Rosen lieben Sonne
einem E.«
Ich gab dem Taxifahrer ein großzügiges Trinkgeld, ebenso dem Türsteher. Großzügig genug, fand ich; er starrte mich nicht gerade dankbar an, aber er zerriß immerhin die Dollarnote auch nicht vor meinen Augen in kleine Schnipsel. Ich gönnte mir einen Blick auf die Fassade des Hotels, aber es sah nicht so aus wie das auf dem Foto, andererseits war ich mir ohne einen Vergleich mit dem Bild auch nicht ganz sicher, und überhaupt sieht bei Tageslicht sowieso alles anders aus, wie der schwarze Chorjunge zum Vikar sagte, ich mußte also einfach nur abwarten.
Die Hotels in Vegas sind nicht so gebaut wie überall sonst, abgesehen vielleicht von Städten wie Reno oder Atlantic City. Um zur Rezeption zu kommen, muß man sich durch ein Labyrinth aus Spielmaschinen und Blackjack-Tischen winden, an denen kurzärmelige Cracks in waschechten Karohosen geistreiche Beschwörungsformeln absonderten wie »Hosen runter!«, »Eine Breitseite für Nelson« und »Klein, aber hart«. Warum man da durch muß, ist ja wohl klar. Unter Aufwendung großer Willensstärke gelangten Evonne und ich in den ersten Stock, ohne unser Vermögen zu verlieren. Wir wurden sogar noch um 75 Cents reicher — Evonne hatte zwei Kirschen an einem einarmigen Banditen.
Wir checkten ein, fuhren mit dem Fahrstuhl sechs Stockwerke in die Höhe und fanden unser Gepäck, wie versprochen, auf unserem Zimmer. Nach einer kurzen, freundschaftlichen Diskussion rief ich den Zimmerservice an und bat um ein paar Nachos zum Knabbern und vielleicht ein dazu passendes Getränk zum Runterspülen. Während Madame sich in ihr Kostüm schlängelte, rief ich bei der Rezeption an und fragte, ob mein Freund Joel da war. Nein, war die Antwort, er habe diese Woche acht bis vier, was bedeutete, daß er von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags Dienst hatte. Ich versuchte es bei ihm zu Hause, und er war sogar da.
»Vic? Victor Daniel persönlich ? Wo steckst du?«
»Sechs Stockwerke über deinem Arbeitsplatz«, sagte ich. »Wo steckst du?«
»Zwei Meilen östlich, die 403 entlang«, erklärte er. »Liebling, rat mal, wer dran ist! — Nach der Abzweigung Richtung Süden, die du nicht nimmst, kommt eine Werbetafel von MGM, und gleich dahinter biegst du ab. Meins ist das einzige Haus, du kannst es gar nicht verfehlen. Und beeil dich, altes Haus, ich werfe grad den Barbecue-Grill an.«
Ich wollte gerade sagen: »Warte mal, Joel, ich muß erst jemand fragen«, aber er hatte schon aufgelegt.
»Wer war das?« fragte Evonne. Sie trug nur ihren BH und ein Höschen und hielt ein grünes, schulterfreies Abendkleid hoch, das sie kritisch betrachtete.
»Nur ein alter Freund von mir«, sagte ich. »Joel. Ach, Liebling, komm doch mal her zu mir, damit ich dir was in dein wunderhübsches Öhrchen flüstern kann.«
»O nein«, sagte sie. »Kein Quickie. Wir gehen aus, hast du das schon vergessen? Unglaubliche kulinarische Genüsse? Vielleicht eine Show? Und irgendwo in dieser Stadt finden wir anschließend einen mondhellen Patio, in dem wir bis zum Morgengrauen tanzen.«
»Tja, genau darüber wollte ich dir etwas ins Ohr flüstern«, sagte ich.
Eine von Evonnes (vielen) wunderbaren Eigenschaften ist, daß sie mir nichts nachträgt — schon nach zwanzig Minuten redete sie wieder mit mir. Wir saßen in einem Taxi und kurvten durch die Wüste; sie hatte sich wieder den' Hosenanzug angezogen, in dem sie hergeflogen war, und versuchte die Knitterfalten aus der Vorderseite herauszustreichen, während ich mit einem Auge die Straße und mit dem anderen das Taxameter beobachtete.
»Joel wer?« fragte sie schließlich.
»Joel, auch >Lefty< genannt, Hunt«, sagte ich. »Gott sei Dank bist du mir nicht mehr böse.«
»Ich bin immer noch böse«, sagte sie. »Ich kann böse mit dir sein und trotzdem mit dir sprechen.«
»Ja, Liebling.«
»Warum >Lefty«
»Weil er nur noch einen Arm hat«, sagte ich. »Männerhumor.«
»Ich finde das nicht besonders witzig«, sagte der Taxifahrer.
»Ich auch nicht«, sagte Evonne. »Wie hat er seinen Arm verloren?«
»Eine Granate, glaube ich. In Vietnam.«
»Mein Bruder war in ’Nam«, sagte der Taxifahrer. »Raten Sie mal, was der verloren hat?«
»Da«, sagte ich und zeigte auf das Werbeschild. »Links, wenn’s beliebt.«
An manche Abende erinnert man sich, an andere nicht, wie der Leiter des Orchesters auf der SS Titanic mal gesagt haben soll. Der Abend bei den Hunts gehörte zu den ersteren. Obwohl gar nichts Besonderes passierte.
Weitere Kostenlose Bücher