Rosen lieben Sonne
Evonne.
»Wenn du zu lange an diesem Arm hängst, stirbst du den langsamen Tod der tausend Küsse«, drohte ich ihr, als wir in die gleißende Sonne hinaustraten.
»Leben ohne Risiko ist wie ein Eierlikörbecher ohne Eierlikör«, entgegnete sie gelassen. Wir wandten uns nach links und folgten der Straße bis zum Majestic. Eine Menge Leute liefen hierhin und dahin, und sie sahen nicht gerade wie brave Kirchgänger aus. Ich fragte mich, ob es in Las Vegas überhaupt Kirchen gab, mal abgesehen von diesen »Kapellen« — von denen eine gleich auf der anderen Straßenseite lag — , in denen man in vier Minuten heiraten oder sich in drei Minuten scheiden lassen konnte. Wenn es hier überhaupt eine Kirche gab, war es bestimmt der Tempel der heiligen Fortuna.
Das Majestic war nur zehn Minuten Fußweg entfernt und sah schon auf den ersten Blick genauso aus wie das Hotel auf dem Foto. Auf den zweiten Blick, für den ich das Foto aus dem Umschlag holte und kritisch betrachtete, auch. Also postierte ich meine Zeugin auf der Eingangstreppe, die genau in der Mitte des Original-Fotos zu sehen war. Sie sah großartig aus, wie der Wind mit ihrem Haar spielte. Ich verknipste eine ganze Filmrolle aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Brennweiten, kümmerte mich nicht um die dummen Bemerkungen der Passanten und ließ mir schließlich noch vom Portier versichern, daß an der Fassade weder in den letzten Wochen noch in den letzten Jahren irgendwelche baulichen Veränderungen vorgenommen worden waren. Und tschüs.
Auf dem Rückweg zum Hotel bat ich mein Fotomodell in die kleine »Kapelle«, die mir vorhin aufgefallen war - »The Wee Kirk O’the Glen« —, ein kleines rotes Backsteingebäude mit hölzernem Schindeldach, davor ein hübscher weißer Lattenzaun. Als ich ihr die Türe aufhielt, sah sie mich mit einem scheuen Augenaufschlag an und sagte: »Das war aber eine schnelle Entscheidung.«
»Vergiß es, Baby«, sagte ich. »Das ist ein rein geschäftlicher Besuch.«
Wir betraten einen Raum, der ganz so aussah wie ein handelsübliches Wohnzimmer, abgesehen davon, daß in einer Ecke ein kleiner Schreibtisch stand, ein schönes altes Rollpult. In Kombination mit den Chintz-Vorhängen, der gedämpften Muzak-Orgelmusik im Hintergrund und einem Haufen Bilder von Hochzeitspaaren an den Wänden jagte mir dieser Schuppen eiskalte Schauer über den Rücken.
Bevor die mütterlich aussehende Dame hinter dem Schreibtisch auf dumme Gedanken kommen konnte, fragte ich: »Entschuldigen Sie, gibt es hier einen Notar?« Ich nahm an, daß Leute, die andere Leute offiziell verheiraten durften, dafür irgendeine offizielle Genehmigung brauchten, und mußten Hochzeiten nicht ohnehin notariell beglaubigt werden? Ich war mir nicht sicher, aber es war den Weg auf die andere Straßenseite wert, es herauszufinden.
»Sie stehen ihr gegenüber«, sagte die Dame hinter dem Schreibtisch und holte von einem Regal ein großes Buch herunter. »Vier Dollar die Seite.«
»Das klingt gut«, sagte ich. »Hätten Sie vielleicht glücklicherweise noch ein paar Bogen Papier für mich?«
»Sie haben das Glück des Unbedarften«, sagte sie. Also verfaßte ich einen kurzen Text, in dem stand, daß ich, der Unterzeichnende, die besagten Fotos vor dem Majestic Hotel, Las Vegas, Nevada, um zehn Uhr dreiundvierzig am 22 . Juli aufgenommen hatte. Dann einen zweiten Text, in dem stand, daß ich, Evonne, auf besagten Fotos zu sehen bin und so weiter. Wir unterschrieben beide, und das tat die Lady auch, anschließend drückte sie ihr Siegel darauf und notierte die Details in ihrem dicken Buch. Aufgepaßt, Marco Bellman, die Schlinge zieht sich zu. Ich bezahlte, bedankte mich und zerrte Evonne von den Hochzeitsfotos weg. Bevor wir die Tür erreicht hatten, sagte die Dame: »Wir haben ein Spezial-Angebot an Wochenenden, meine Lieben. Neunundneunzig fünfzig, Organist und Orchideen inklusive.«
»Ich werde auf Sie zurückkommen«, sagte ich.
»Und jetzt?« wollte Evonne wissen, als wir zurück zu unserem Hotel spazierten.
»Weiß nicht«, sagte ich. »Wir könnten schwimmen gehen und danach was essen und dann zurückfliegen. Oder wir könnten den alten Damen in kurzen Hosen und Dauerwellen beim Spielen Zusehen, danach schwimmen und essen und dann nach Hause fliegen.«
»Warum fliegen wir nicht einfach nur nach Hause?« fragte sie und wich einer Prozession freiwillig frischgebackener Ehepaare aus.
Wir packten und checkten aus, wobei ich entdeckte, daß
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