Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
mit einer Knarre in der Hand jagte mir eine Gänsehaut den Rücken runter, aber das sagte ich natürlich nicht, sondern merkte nur an: »Stephanie war doch erst acht.«
»Man kann damit nicht früh genug anfangen«, meinte Nathan, entsicherte ein imaginäres Maschinengewehr und feuerte in die Runde. Wenn er in Ambers Nähe war, wirkte er immer wie bei einem Schauspielcasting.
»Was diese Jungs angeht«, sagte Amber und warf ihr Haar zurück. »Alle haben gemeint, dass die total normal waren.«
»Das hat keiner gesagt«, antwortete ich.
»Dass Casey normal ist, kann man nun nicht gerade behaupten.«
»Was soll das denn heiÃen?«, gab ich zurück.
»Ach komm, Jess. Schon klar, dass sie deine beste Freundin ist, aber du musst doch zugeben, dass sie ânen ganz schönen Knall hat. Man kann ihr ja nicht mal Guten Morgen sagen, ohne dass sie einen mit irgendwelchem Käferkram zutextet.«
»Sie will halt Entomologin werden«, verteidigte ich sie.
»Und ich will Chirurgin werden, aber deswegen laber ich doch nicht am laufenden Band über Körperteile«, schimpfte Amber.
Das war nun der Witz des Jahres, denn Amber war sogar zu dämlich gewesen, um den Erste-Hilfe-Teil des Babysitterkurses zu bestehen, den wir in der Achten zusammen gemacht hatten.
»Keine Ahnung, ob Casey schon mal ein Date hatte«, warf jemand ein. »Schon schräg. Ich meine, sie ist ja nicht direkt hässlich oder so.«
»Passt doch ins Bild«, warf Nathan ein. »In der Zeitung stand, dass ein paar von Stephanies Klamotten fehlten. Casey ist wahrscheinlich so âne abartige Perverse.«
»Was?«, rief ich entsetzt.
»Ist sie echt pervers, Jess?«, hakte Amber nach. »Weil, ich meine, wenn das jemand weiÃ, dann ja wohl du. SchlieÃlich hängt ihr ja viel zusammen rum und so.«
»Ja genau, ihr seid doch so was wie beste Freundinnen«, ergänzte Nathan.
Mein Mund ging auf und zu wie bei einem Fisch an Land. Dann kehrte ich ihnen den Rücken und lieà sie einfach stehen.
»Wann hattest du eigentlich dein letztes Date, Jess?«, schrie mir noch jemand hinterher. Ihr Gelächter begleitete mich bis zum Parkausgang. Und vermutlich auch die Blicke sämtlicher Jahrmarktsbesucher.
In dieser Nacht wachte ich um zwei Uhr auf. Ich holte mein Fahrrad und kurvte in der schlafenden Stadt herum. Die Polizeiwache mied ich sorgfältig. Stattdessen fuhr ich rüber zum Lionâs Park, wo die Kirmes schon wieder halb abgebaut war.
Unter dem Dinosaurier-Gerippe der teilweise demontierten Wilde-Maus-Achterbahn stieg ich vom Rad. Weil ich meine Freundin so sehr vermisste und weil das Alleinsein mich so fertigmachte, setzte ich mich hin und fing an zu weinen.
Am Ende schlief ich unter der Wilden Maus ein. Erst in der kalten Morgenluft wachte ich wieder auf, zitternd und von Tau bedeckt. Mir fiel ein, dass heute die Schule wieder anfing.
Mein Kopf war ganz leer. Ohne Casey schaff ich das nicht, dachte ich.
Und eigentlich hatte ich das auch gar nicht vor.
Durch dichten Nebel radelte ich nach Hause. Ich machte mir nicht mal die Mühe, zu duschen oder mich umzuziehen. Von der Küchentheke nahm ich Moms Autoschlüssel, schloss den Kofferraum auf und fing an, meine Campingausrüstung einzuladen. Danach ging ich in mein Zimmer und stopfte ein paar Klamotten in meine Reisetasche. Casey und ich hatten dieselbe KleidergröÃe â obwohl sie ein paar Zentimeter gröÃer war als ich.
Als ich die Tasche zumachte, hörte ich aus den Schlafzimmern meiner Eltern, dass sie am Aufstehen waren, und beeilte mich. Hastig kritzelte ich Mom noch eine Nachricht, dass ich ihr Auto hatte, legte den Zettel auf den Küchentisch und verlieà das Haus.
An diesem Morgen hatte Casey ihren ersten Gerichtstermin. Aus dem Polizeirevier konnte ich sie ja wegen der hohen Polizistendichte dort nicht befreien, aber vielleicht fand sich im Gerichtsgebäude eine bessere Gelegenheit. Wenn ich es schaffte, früh genug da zu sein, um im Verhandlungssaal einen Platz ganz vorn zu erwischen, könnte ich mich sofort auf Casey stürzen, sobald sie hereingeführt wurde. Wir mussten uns den Ãberraschungseffekt zunutze machen. Noch bevor jemand reagieren konnte, wären wir schon zur Tür raus und über alle Berge. Wir könnten untertauchen, im Zelt schlafen, uns Jobs suchen und ein neues Leben anfangen. Vielleicht schafften wir es ja
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