Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
und wurde sogar von der Presse wahrgenommen â mehr noch als Casey. Ziemlich albern, ich weiÃ, aber das ging mir nun mal durch den Kopf.
Auf jeden Fall lenkte es mich so weit ab, dass ich nicht mehr an das Gespräch mit Mela Cross in dem Donut-Laden denken musste. Bei ihren Worten hatte ich mich so schrecklich klein und mies gefühlt. »Hast du überhaupt eine Seele?«, hatte sie mich gefragt.
Natürlich glaubte ich nicht, dass Casey die kleine Stephanie umgebracht hatte. Ich konnte die ganzen sogenannten Beweise Stück für Stück herbeten und widerlegen â besser als ihre Anwältin wahrscheinlich. Warum hatte ich das nicht gesagt?
Weil ich dann als Nächstes auf jeden Fall hätte einwilligen müssen, eine Zeugenaussage zu machen. Dann kämen noch mehr Gesprächstermine, Fragen, scheele Blicke und Auseinandersetzungen auf mich zu. Dabei wollte ich das alles doch nur so schnell wie möglich abhaken.
Je länger ich über die Unterhaltung nachdachte, desto wütender wurde ich. Was bildete sich diese Anwältin eigentlich ein, mich zu verurteilen? Sie kannte mich doch überhaupt nicht! Kein bisschen wusste sie von meinem Leben. Ich hasste sie. Und ich war sauer auf Casey, weil sie mir diese Zicke auf den Hals gehetzt hatte.
Als ich gegen vier Uhr morgens nach Hause kam, war das Haus hell erleuchtet. Ich kriegte die Panik und fuhr erst einmal eine Weile vor unserem Haus hin und her, ehe ich mich hineintraute. Letztendlich ging ich vor allem deshalb rein, weil ich befürchtete, dass meine Mutter mich bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte.
Mom war in der Küche zugange. Schon an der Tür roch ich, dass sie etwas gebacken hatte. Sie verlor kein Wort darüber, dass ich von drauÃen kam, sondern sagte nur: »Hey, Jude, kannst du mir mal bitte die Muffinbleche abwaschen?«
Eine Ladung Muffins lag schon zum Abkühlen auf dem Kuchengitter. Mom beugte sich über ihr Kochbuch und rührte die Zutaten für die nächste Runde zusammen. Ich säuberte die Bleche. Danach fettete ich sie ihr noch ein und bestäubte sie mit Mehl. Obwohl es in der Küche sehr warm war, begann ich in meinen verschwitzten Sachen zu frieren. Ich ging hoch in mein Zimmer, zog mich aus und verkroch mich unter der Bettdecke. Wahrscheinlich hatte sie gar nicht mitbekommen, dass ich weg war.
Ich schlief ein bisschen â oder ruhte zumindest. Dass Mom mitten in der Nacht zu backen anfing, war ein denkbar schlechtes Zeichen. Alle paar Minuten schreckte ich wieder hoch, weil ich Angst hatte, dass sie vergaÃ, was sie gerade tat, und versehentlich das ganze Haus abfackelte. Als um sieben mein Wecker klingelte, fühlte ich mich, als ob ich die ganze Nacht in einer Schlacht gekämpft hätte. Unter der warmen Dusche wurde ich zwar sauber, aber kein bisschen wacher.
Als ich zum Frühstück nach unten kam, war die Küche picobello sauber. Mom packte gerade frisch gebackene Muffins in eine alte Keksdose, die sie mit Wachspapier ausgelegt hatte. »Trink einen Schluck Orangensaft und iss einen Muffin«, sagte sie.
Dad saà hinter der Zeitung versteckt am Tisch. Vor ihm auf dem Teller lag ein aufgeschnittener und mit Butter bestrichener Muffin. Er hatte schon ein paar Bissen davon gegessen. Ich erhaschte seinen Blick über den Zeitungsrand und er nickte unmerklich. Die Muffins waren also essbar.
»Die Muffins sind völlig in Ordnung. Deine kleinen Signale kannst du dir sparen«, zischte Mom. Schuldbewusst nahm ich mir zwei, obwohl ich nicht mal auf einen einzigen Appetit hatte. Sie schmeckten gut, aber ich musste reichlich Saft dazu trinken, um sie herunterzuschlucken.
»Ich möchte, dass du auf dem Schulweg noch kurz bei den Whites vorbeigehst und ihnen diese Muffins hier bringst«, eröffnete mir Mom, während sie die Keksdose mit einem Deckel verschloss.
Ich stellte mein Saftglas ab. Auf gar keinen Fall wollte ich dorthin. Hilfe suchend schaute ich zu Dad, dessen Gesicht aber komplett hinter seiner Zeitung verborgen war.
»Ich muss heute schon früher in der Schule sein«, log ich. »Geschichtsprojekt.«
»Es dauert maximal zwei Minuten«, widersprach Mom. »Du musst doch nicht bleiben. Eigentlich brauchst du nicht mal reinzugehen. Klingle einfach und gib ihnen die Dose.«
»Ich hab aber keine Zeit dazu!«, wiederholte ich, nun etwas energischer.
Sie kam so rasant auf mich zu, dass sie mich fast umrannte.
Weitere Kostenlose Bücher