Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Sperrmüll geholt hat. Dann leert er seine Taschen aus und packt den ganzen Kleinkram daneben: ein bisschen Kleingeld, ein dreckiges Taschentuch und die zerknitterte Karte mit dem Aufdruck »Hypothesen-Verlag«.
Mit einem Klick auf die Leertaste erlöst Moritz seinen Computer aus dem Ruhemodus. Dann beginnt er zu schreiben, so wie jeden Abend. Zum Glück benutzt er eine Funktastatur, das macht mir die Arbeit unten im Wagen vor seiner Tür leichter. Ich kann die Signale von der Tastatur an seinen Rechner abfangen und sie auf meinen Laptop umleiten. So schreibt er nicht nur seine, sondern gleichzeitig auch meine Festplatte voll.
Ich richte mich auf eine lange Nacht ein. Mit dem Sitz in Liegeposition ist das hier draußen auszuhalten. Ich habe ja keinen, der zu Hause auf mich wartet. Das heißt nicht, dass ich nie jemanden hatte. Doch bei meinen Arbeitszeiten hält das alles nicht lange. Jedenfalls weiß ich nur zu gut, wie Moritz sich jetzt wegen Anne fühlt.
Wer nicht?
Normalerweise geht die Schreiberei die halbe Nacht, heute bricht er schon nach ein paar Seiten ab. Ich überfliege, was er geschrieben hat. Es ist wirklich eher mittelprächtig. Er ist nicht bei der Sache, das spürt man.
Moritz steht noch einmal auf und geht zum Telefon. Er hebt ab, um zu checken, ob es in der Zwischenzeit nicht doch noch eine Störung gab. Gab es nicht, das Gerät funktioniert einwandfrei. Moritz legt wieder auf. Anschließend nimmt er sein Handy und wählt Annes Nummer.
Es läutet ein paarmal, dann springt ihre Mailbox an.
»Leider bin ich derzeit nicht erreichbar. Nach dem Ton ist Platz für eine Nachricht. Danke.«
Moritz wirft das Handy zurück auf den Tisch. Er schreibt noch ein bisschen am Laptop, aber das hätte er sich auch sparen können. An diesem Abend bringt er nichts Vernünftiges mehr zustande. Irgendwann geht er schlafen, und ich habe etwas früher frei als erwartet.
12 / 10 / 2015 – 08 : 30 Uhr
Am nächsten Morgen wird Moritz schon früh durch lautes Klingeln geweckt. Zumindest für seine Verhältnisse ist es früh, ich bin da schon lange wach. Bei den ersten beiden Versuchen reagiert er nicht. Erst beim dritten Schellen steht er auf und wankt verschlafen Richtung Wohnungstür.
»Einschreiben! Kommen Sie runter, Herr Rosendorfer?«, ertönt die Stimme des Postboten im Treppenhaus.
»Ja, ja, ich komme schon«, murmelt Moritz. Er zieht sich eine Jeans an und schlüpft in ein T-Shirt, auf dem ein Alien und der Name
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abgebildet sind.
Weil er vergessen hat, Schuhe oder Socken anzuziehen, fröstelt er, als er unten im Hausflur auf dem kalten Marmorboden vor den Briefkästen steht und das Einschreiben entgegennimmt. Das kann ich sehen, weil ich sicherheitshalber auch im Flur eine Kamera installiert habe. Als wenn ich es geahnt hätte, dass ich die mal brauchen würde.
»Hier bitte unterschreiben«, sagt der Postbote und reicht ihm einen Kuli. Moritz nimmt den Stift und schreibt: James Moriarty. Das war der Gegenspieler von Sherlock Holmes, und den Namen schreibt Moritz auf alle Vordrucke, weil es eigentlich völlig egal ist, was man auf diese Formulare kritzelt. Liest sowieso kein Schwein.
»Da ist noch mehr Post für Sie im Briefkasten. Schönen Tag noch«, verabschiedet sich der Briefträger, ohne auf die Unterschrift zu schauen. Dann ist er auch schon wieder draußen.
Moritz öffnet den Kasten. Dabei fallen ihm ein weiterer Brief und jede Menge Werbung entgegen. Während Moritz das Einschreiben öffnet, erscheint seine Nachbarin im Flur. Die alte Frau Mattari ist wirklich alt, mindestens so um die achtzig. Ich könnte das genaue Alter irgendwo nachschauen, aber so wichtig ist es auch wieder nicht. Sie trägt einen neongrünen Bademantel, der ganz reizend mit ihren rosa getönten Haaren harmoniert, und wohnt im Erdgeschoss. Aus ihrer angelehnten Wohnungstür plärrt das Vormittagsprogramm eines Privatsenders. Durch den Schlitz kann man in ihre Diele sehen, in der eine riesige Eichengarderobe steht. Die reicht für eine ganze Schulklasse, dabei bekommt die alte Frau Mattari nie Besuch. Abgesehen von ihrer Tochter, die alle zwei Monate für eine halbe Stunde vorbeischaut. Kein Wunder, dass die alte Dame Gesprächsbedarf hat. Im Gegensatz zu Moritz hat sie es deswegen auch nicht so furchtbar eilig, wieder zurück in ihre Wohnung zu kommen. Im Gegensatz zu Moritz trägt sie ja auch plüschige Pantoffeln.
»Den Gelben kann man auch nicht mehr trauen«, bemerkt die alte Frau Mattari und schaut in
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