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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Bertram
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Die Schlange ist noch nicht so wahnsinnig lang, denn das Fest geht erst heute Abend richtig los. Als ich an der Reihe bin, überreiche ich mein Präsent, wünsche alles Gute und mache noch eine höfliche Bemerkung über den gesunden Gesamteindruck des Geburtstagskinds.
    Moritz’ Vater nimmt die Glückwünsche entgegen, und wenn er sich fragen sollte, wer ich bin, lässt er sich das zumindest nicht anmerken. Das ist der Grund, warum ich bei meiner Arbeit große Familienfeste liebe. Da fällt man nicht groß auf, weil jeder denkt, man gehöre zum anderen Familienzweig oder sei ein Cousin, der sich schon lange nicht mehr hat blicken lassen. Im Notfall reicht meist der Hinweis auf Onkel Hans, um eventuelle Zweifel an den gemeinsamen Blutsbanden zu zerstreuen. Einen Onkel Hans gibt es in jeder Familie.
    Als ich mich wegdrehe und den Platz frei mache für den nächsten Gratulanten, stoße ich kurz und scheinbar ganz zufällig mit Anne zusammen. Dabei fällt ihre Brille auf den Rasen des Vorgartens. Ich murmle ein »Pardon, tut mir leid«, hebe die Brille auf und reiche sie ihr. Dann verabschiede ich mich in den Garten hinter dem Haus. Meine beiden Geschenke bin ich losgeworden, deshalb habe ich jetzt etwas Zeit, mich umzusehen.
    Während ich durch den großen Garten wandle und den top gepflegten Rasen bestaune, meldet sich Annes Brillenmikrofon an der Kamera zum ersten Mal. Brillen sind praktisch, die wechselt man nicht so häufig wie Jacken oder Blusen, und das entlastet meinen Techniketat. Nach dem Tellerklappern im Hintergrund zu urteilen, befindet sie sich in einer Küche. Es dauert nicht lange, und ich habe das dazugehörige Fenster gefunden. Richtig, da steht Anne neben Moritz’ Mutter, die irgendwelche kalten Platten für das Fest anrichtet und dabei Anne ihr Herz ausschüttet.
    »Du weißt ja gar nicht, wie froh ich bin, dass Moritz dich hat. Sonst würde ich mir noch mehr Sorgen um ihn machen, und Friedrich auch. Aber er kann es halt nicht so zeigen.«
    »Wie geht es Friedrich denn?«, fragt Anne besorgt.
    »Ich hab halt Angst, dass es schlimmer wird«, erwidert Moritz’ Mutter.
    »Er muss einfach auf sich achten. Damit ist nicht zu spaßen.«
    »Das erkläre ich ihm auch ständig. Aber er sagt ja nix. Er hat nie viel gesprochen, aber in letzter Zeit ist er noch ruhiger geworden.«
    »Das ist ganz normal. Das gibt sich auch wieder. Nach so einem Infarkt gehen einem viele Fragen durch den Kopf, da wird man automatisch ruhiger.«
    »Was denn für ein Infarkt?«, fragt Moritz’ Mutter sichtlich überrascht.
    »Hatte er nicht …«, setzt Anne verwirrt an.
    »Unsinn! Friedrich hatte doch keinen Infarkt. Ich rede von der Rosendorfer-Krankheit. Na ja, du als Krankenschwester würdest das bestimmt anders nennen. Viele aus seiner Familie sind im Alter ein bisschen … verschroben geworden. Bilden sich Dinge ein, die es gar nicht gibt. Solche Sachen eben.«
    »Infarkte oder gut bezahlte Jobs zum Beispiel …«, flüstert Anne so leise, dass sogar ich es kaum verstehen kann.
    »Wie bitte?«
    »Nichts, gar nichts.«
    Anne sieht aus dem Fenster zu Moritz hinüber, der im Vorgarten neben seinem Vater steht. Eigentlich müsste sie wütend auf ihn sein, aber zu meiner Überraschung lächelt sie.
    Frauen!
    Obwohl der Musikzug immer noch irgendwelche alten Märsche spielt, kann ich mit dem Knopf im Ohr gut verstehen, worüber sich Moritz und sein Vater unterhalten. Dazu muss ich nur auf seine Frequenz wechseln.
    »Danke für euer Geschenk. Ich pack es später aus. Zusammen mit den anderen«, sagt Moritz’ Vater, der etwas unbeholfen ein kleines Paket in der Hand hält.
    »Du weißt doch sowieso, was drin ist. Ich schenk dir seit fünf Jahren immer das gleiche Aftershave«, erwidert Moritz.
    »Ich benutze ja auch kein anderes. Immerhin kannst du es dir dieses Jahr leisten. Du verdienst jetzt Geld, wie ich sehe.«
    »Der Wagen? Der ist nur geliehen. Aber du hast recht, ich verdiene Geld. Mit meinen Geschichten.«
    »Es geschehen noch Wunder. Peter – erinnerst du dich an Peter?«
    »Der alte Streber? Der, der neben den Müllers gewohnt hat?«, fragt Moritz.
    »Peter ist ein äußerst fähiger Anwalt geworden. Er übernimmt nächsten Monat meine Kanzlei. Du mochtest sie ja nicht. Ich wollte es dir schreiben.«
    »Wieder als Einschreiben?«
    »Ich habe es gelassen. Ich nahm an, es interessiert dich sowieso nicht.«
    »Stimmt.«
    »Eben, das dachte ich mir.«
    Ich sag mal so, selbst in den Hochzeiten des Kalten Krieges

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