Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
zusieht, wie er liebt, lebt und leidet. Vor allem leidet. Und wie er verarscht wird. Wie soll man denn da neutral bleiben?
»Wir müssen ihn aufhalten.« Moritz kann kaum stillsitzen, während Anne ihn verarztet. »Der Wievielte ist heute überhaupt?«
»Der 31 . Oktober«, antwortet Anne, die immer wieder über ihre Schulter blickt, als würde sie noch jemanden erwarten.
Moritz richtet sich abrupt auf und zieht Luft durch die Zähne wegen der Schmerzen in seinem Arm. Er braucht einen Moment, ehe er weiterreden kann.
»Halloween! Dann wird er es heute wahr machen!«
»Wovon redest du?«
»Meine Geschichte. Hobbe wird sie umsetzen. Heute Nacht in der Senkenfallhöhle.«
»Bleib ruhig, sonst kann ich wieder von vorn anfangen«, erwidert Anne ruhig und drückt Moritz zurück auf die Liege.
Plötzlich geht die Tür auf. Im Flur stehen zwei Pfleger. Es sind ziemlich große und kräftige Männer, und wenn sie eine Zwangsjacke dabeihätten, würde mich das nicht überraschen. Haben sie aber nicht.
»Warte hier auf mich. Ich bin gleich wieder bei dir.« Anne gibt Moritz einen Kuss auf die Stirn und verlässt den Raum, um mit den Pflegern zu reden.
Kurz darauf kommt sie mit den beiden zurück. Anne vermeidet es, Moritz in die Augen zu blicken, und ich weiß auch, warum. Das ist nicht so wahnsinnig schwer zu erraten.
»Das sind Herr Hütz und Herr Kühnel. Sie werden sich um dich kümmern«, stellt Anne die Pfleger vor, die schweigend neben ihr stehen und Moritz neugierig betrachten. Es wirkt, als würden sie abschätzen, ob von dem bandagierten jungen Mann auf der Liege Ärger droht oder nicht. Ihrem entspannten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, erwarten sie keinen.
»Du denkst, ich bin verrückt. Ich bin aber nicht verrückt.« Moritz hat endlich kapiert, was hier läuft.
»Du bist nicht verrückt, du bist krank, Moritz. Mach es bitte nicht noch schlimmer. Ich kenne gute Ärzte, und ich komme doch auch mit. Zusammen können wir das durchstehen. Zusammen – hast du gehört, Moritz? Wir zwei«, sagt Anne, und Tränen laufen ihr dabei rechts und links die Wangen hinunter.
Um ihn nicht ansehen zu müssen, greift sie nach Moritz’ blutverschmierter Jacke, die neben ihm liegt. Als Anne sie ihm reichen will, reißt sich Moritz die Infusionsnadel aus der Vene und springt von der Liege. Dabei rutscht ihm die Pistole aus dem Hosenbund und kracht polternd auf den Linoleumboden.
Trotz seiner Verletzung reagiert Moritz am schnellsten. Er bückt sich und greift mit seinem gesunden Arm nach der Waffe. Als er sich stöhnend wieder aufrichtet, zielt er mit dem Lauf der Pistole auf die Pfleger, die sich irritiert ansehen. Auf die kurze Entfernung würde sogar Moritz treffen. Von wegen »kein Ärger zu erwarten«. Weil sie es hier ganz offensichtlich mit einem bewaffneten Irren zu tun haben, halten sie lieber Abstand. Das ist clever, beweist aber auch, dass die beiden genau wie Moritz keinen blassen Schimmer von Waffen haben. Die Knarre in Moritz’ Hand ist nämlich gar nicht entsichert.
»Moritz, mach doch keinen Unsinn!«, schreit Anne entsetzt. »Leg die Pistole weg!«
»Was denn für eine Pistole? Die gibt es doch gar nicht, genauso wenig wie Hobbe, Pascal oder den Verlag«, erwidert Moritz, der sich langsam auf die Tür zubewegt.
»Bitte! Leg die Waffe weg! Wo hast du die überhaupt her?«
»Aus dem Schrank, den es auch nicht gibt.« Mit der Waffe macht Moritz den Pflegern, die immer noch regungslos in der Tür stehen, ein Zeichen, ihm aus dem Weg zu gehen.
»Bleib hier, Moritz! Wir wollen dir doch nur helfen!« Anne geht einen Schritt auf ihn zu.
»Ich muss ihn stoppen. Es sind meine Geschichten, die er umsetzt. Ich bin schuld!«
Als er das sagt, hat Moritz bereits die Tür erreicht. Er dreht sich noch einmal um, greift in Annes Manteltasche und zieht ihren Autoschlüssel heraus. Dann ist er auch schon draußen auf dem Flur und sprintet Richtung Ausgang, so gut das mit seinem verletzten Arm geht.
Es dauert eine Weile, ehe sich Anne und die Pfleger aus ihrer Schockstarre lösen können. Anne kramt aus ihrer Hosentasche ihr Handy und Hobbes Visitenkarte. Dann wählt sie und wartet, bis Dr. Kleiber abhebt. Das tut er schon nach dem ersten Klingelton.
»Doktor Kleiber, er war hier. Er hat was von einer Geschichte erzählt in einer Höhle, weil heute doch Halloween ist. Ich hab ihn nicht aufhalten können. Ich weiß nicht mehr weiter. Bitte, Sie müssen ihm helfen. Er ist völlig durchgedreht, und er hat eine
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