Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
habe ich neulich erst eine Story gehört, die glauben Sie nicht. Eine gute Freundin von ’nem Freund von mir geht abends tanzen und dann mit so ’nem Typen nach Hause, um sich seine Espressotassensammlung anzusehen.« Der Fahrer dreht sich zu Moritz um und zieht sein rechtes Augenlid nach unten, von wegen: Sie wissen schon. »In seiner Wohnung haut ihr der Typ so K.-o.-Tropfen ins Glas. Und jetzt raten Sie mal, wo die am nächsten Morgen aufgewacht ist!«
Moritz sieht nur kurz auf und arbeitet sich dann weiter durch die Zeitungen. Aber das scheint dem Fahrer völlig egal zu sein.
»Jedenfalls nicht in seinem Bett«, fährt der Mann fort. »Das Bett, in dem sie zu sich kam, stand im Krankenhaus, und dreimal dürfen Sie raten, was ihr fehlte.«
Auch diesmal wartet er Moritz’ Reaktion gar nicht erst ab. »Die Handtasche war’s nicht, die war noch da. Der Kleine fehlte ’ne Niere. Was sagen Sie dazu?«
»Kennen Sie das Mädchen persönlich? Haben Sie die Narbe selbst gesehen?«, fragt Moritz plötzlich interessiert, weil es schließlich sein könnte, dass hier wieder eine ihrer Geschichten blutiger Ernst geworden ist.
»Nee, hab ich nicht. Aber das ist alles echt passiert. Das hab ich von ’nem guten Freund eines Freundes gehört, von dem war das die Freundin«, erwidert der Taxifahrer gekränkt.
»Vorhin war es noch der Freund von dem Mädchen, der Ihnen die Story erzählt hat«, erwidert Moritz gereizt.
»Wer sind Sie? Mitglied der anonymen Skeptiker?«, grunzt der Taxifahrer nach hinten.
Den Rest der Fahrt über herrscht eisiges Schweigen, was dem Fahrer mehr zu schaffen macht als Moritz. Der wirkt richtig erleichtert, weil es keine wirklichen Beweise gibt, dass die Nierengeschichte auch bereits in der Realität umgesetzt wurde.
»Wir sind da«, antwortet der Fahrer kurz angebunden, als er vor dem Portal des Krankenhauses steht.
Moritz schnappt sich seine Zeitungen, bezahlt und steigt aus.
31 / 10 / 2015 – 12 : 08 Uhr
Mit den Zeitungen unterm Arm rennt Moritz durch die weiten Flure des Krankenhauses. Es dauert eine Weile, bis er das Schwesternzimmer gefunden hat, in dem Anne gerade Pause macht. Sie scheint überrascht, ihn zu sehen, und kann nur schwer verbergen, wie sehr sein Anblick sie besorgt. Moritz sieht tatsächlich nicht gut aus. Im Gegenteil: Seine Kleidung ist zerknittert, sein Haar hängt ihm wirr in die Stirn, und seine Augen haben etwas geradezu Zwanghaftes.
Anne steht auf und geht auf ihn zu. Sie will ihn in den Arm nehmen, aber dazu ist Moritz viel zu aufgewühlt.
»Wo warst du? Ich hab überall versucht, dich zu erreichen«, sagt Anne.
»Ich habe mein Handy weggeworfen«, antwortet Moritz.
»Du hast was?!« Anne sieht ihn mit großen Augen an.
»Damit er nicht weiß, wo ich bin. Anne, ich steck da in einer ganz üblen Geschichte drin.«
»Ich weiß, ich hab mit deinem Arzt gesprochen«, erwidert Anne und ist sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben.
»Mit wem?« Moritz sieht ehrlich überrumpelt aus.
»Mit Doktor Kleiber. Er hat mir alles erzählt, Moritz. Die Klinik, in die du jeden Tag gehst, deine Krankheit, deine Zwangsvorstellungen. Warum hast du mir denn nichts gesagt?«
»Wovon redest du?«
»Es gibt Ärzte, die können dir helfen.«
»Ich brauche keine Ärzte. Die Geschichten, von denen ich dir erzählt habe – er lässt sie wahr werden. Und als Nächstes muss wieder jemand dran glauben, bei uns zu Hause in den Höhlen.«
»Moritz, werde doch vernünftig! Es existiert kein
er
.«
»Doch, Hobbe. Und Pascal ist auch in Gefahr.«
»Es gibt keinen Hobbe und auch keinen Pascal.«
Moritz hält Anne die Zeitungen unter die Nase. »Und was ist das?«
Anne nimmt die Zeitungen und überfliegt die Überschriften.
»Nazis, die Sportschuhe verkaufen. Was hat das mit dir zu tun?«
»Das war Pascal. Dieser New-German-Pride-Fake! Das ist der Beweis, dass ich recht habe.«
»Das beweist gar nichts. Moritz, du bildest dir das alles nur ein.« Anne versucht, ihn in den Arm zu nehmen, aber Moritz hält sie auf Abstand. Er will ihr in die Augen blicken, damit sie erkennt, dass er die Wahrheit sagt und nichts als die Wahrheit.
»Ich bring dich zum Büro. Dann wirst du ja sehen, ob ich spinne oder nicht.«
»Du spinnst nicht, du bist nur krank.«
»Komm mit, und ich beweis es dir.«
»Ich hab den ganzen Tag Dienst. Ich kann hier nicht einfach weg.«
»Bitte! Du musst.« Moritz sieht sie flehend an.
»Dieses Büro, dieser Pascal und Hobbe, diese beiden Fremden, die dich
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