Rosenherz-berbKopie
als er ihr nach der sechsten Stunde
verkündet hatte, dass er sie wegen der Dünnen verlassen werde,
hatte Anna ihn einen Eckenpinkler genannt. Es war zu einem
ihrer Lieblingsworte geworden.
Die
Schulleiterin hatte gelächelt. «Gut ... Irgendjemand im Raum, der
sich nach meiner kleinen Rede lieber verabschieden möchte?»,
hatte sie schließlich gefragt.
Selbstverständlich
war niemand gegangen. Und ebenso selbstverständlich hatte sich
schon wenige Tage nach Unterrichtsbeginn herausgestellt, dass
längst nicht alle das Zeug hatten, den Ansprüchen der
Schulleiterin gerecht zu werden. Auch hier gab es Feiglinge,
Anpasser und Eckenpinkler.
Anna
wäre gerne schlank gewesen. Sie hätte gerne das gehabt, was
in den Frauenzeitschriften ein Sportbusen genannt wurde. Stattdessen
war sie «a little bit chubby», wie Mark bei ihrem ersten
Rendezvous gesagt hatte. Mark war ein schmächtiger Mitschüler auf
der Henri-Nannen-Schule, der in sie verliebt war. Er hatte es
bewundernd gemeint, aber es war genau das gewesen, was sie nicht
gerne hörte. Mark wollte seinen Fehler ausbügeln, machte aber
stattdessen alles nur noch schlimmer. «Nein, warte», sagte er, und
die Pickel in seinem Gesicht hatten begonnen zu glühen, «du bist
toll. Ja genau, du bist voluptuous, ein bisschen üppig. Du siehst
aus wie Monica Lewinsky. Du weißt schon, diese Praktikantin aus dem
Oval Office, die Präsident Clinton ...»
«Ich
weiß, wer Monica Lewinsky ist und was sie gemacht hat», sagte
Anna, «du meinst also, ich sei eine Schlampe?» Sie war
aufgestanden und hatte Mark eine Ohrfeige verpasst. Dann hatte sie
ihm gesagt, er solle sich von Monica Lewinsky einen blasen lassen.
Ihre Zeche hatte Anna nicht bezahlt. Es hatte kein zweites
Rendezvous mit Mark gegeben.
Trotzdem
hatte er recht gehabt: Sie war ein bisschen mollig. Üppig.
Voluptuous. Chubby. Sie hatte alles Mögliche probiert. Sie hatte
wochenlang kein Fett und dann wieder wochenlang nur Fett gegessen.
Sie hatte es mit und ohne Kohlehydrate versucht. War Atkins,
Brigitte und den Weight-Watchers gefolgt, hatte Akupunkteure,
Homöopathen und Hypnotiseure aufgesucht. Sie nahm wunderbar ab. Und
sofort wieder zu. Sie trieb gerne Sport. Sie lief, sie schwamm
und ging ins Studio. Aber wenn sie sich nach einem ihrer
Ertüchtigungsexzesse auf die Waage stellte, war sie schwerer
geworden statt leichter. Sie hatte Fett abbauen wollen und hatte
Muskeln aufgebaut. Auch wenn sie nicht so aussah: Sie war schnell,
stark und ausdauernd.
Anna
schluckte den letzten Bissen ihres Gurkenbrötchens hinunter,
wischte sich über den Mund und überlegte, was sie als Nächstes
essen könnte. Um den Gedanken zu verscheuchen, ging sie rüber
zu ihrem MacBook und öffnete die eingegangenen Mails.
Ihren
Resthunger vergaß sie sofort.
Google
Alerts teilte
ihr mit, dass es im Netz zwei neue Einträge zu ihren
Suchbegriffen gab.
Ihre
Suchbegriffe lauteten: «Karin Niebergall» und «Karin
Rosenherz».
Beide
Mails verwiesen auf denselben Link. Es war ein Artikel in der
Online-Ausgabe des Frankfurter City-Express. Der
Artikel trug den Titel: «Ein Held unserer Stadt - Robert Marthaler,
Kriminalist mit schwerem Schicksal. Von Arne Grüter, Chefreporter».
Anna
Buchwald schloss die Augen, atmete mehrmals tief durch, dann las sie
den Text im Stehen.
Alle
Augen schauen auf diesen Mann: Robert Marthaler ist Hauptkommissar
bei der Frankfurter MK I und für unsere Leser längst kein
Namenloser mehr. Schon oft haben wir über ihn berichtet. Er
ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Ermittler der
Stadt; wenn er und sein Team einen Fall übernehmen, haben die
Ganoven wenig zu lachen. Zwar gilt er als ebenso scharfsinnig wie
zupackend, aber wenn ich ihn jetzt mir gegenübersitzen und an
seiner Apfelschorle nippen sehe, hat er so gar nichts von jenen
draufgängerischen Bullen, wie wir sie aus den Fernsehserien kennen.
Robert Marthaler wirkt eher ernst, fast bedrückt. Der Grund dafür
ist einfach: Seine Lebensgefährtin Tereza P. gehört zu den Opfern des Überfalls auf den Kunsttransport im
Frankfurter Stadtwald, bei dem ein Wachmann erschossen wurde
(der City-Express berichtete).
Tereza P. wurde verletzt und schwebt noch immer in Lebensgefahr. Schon die
erste Frau des tapferen Polizisten ist Opfer eines Verbrechens
geworden: Katharina Marthaler geriet in einen Banküberfall, wurde
angeschossen und starb wenig später an den Folgen ihrer Verletzung.
Allerdings
lehnt Robert Marthaler es strikt ab, über sein
Weitere Kostenlose Bücher