Rosenherz-berbKopie
reagiert hatte, weil er Fausto Albinelli in
den Kreis der Tatverdächtigen gerückt hatte.
Er
räumte das Wohnzimmer auf, brachte die Akten wieder in die richtige
Reihenfolge und legte sie zurück in die grauen Kartons. Er sammelte
seine schmutzigen Kleidungsstücke ein und steckte sie in die
Wäschetonne. Er saugte den Boden und wischte Staub.
Marthaler
war froh, alleine zu sein.
Er
hatte das Gefühl, nicht nur Ordnung in seine Wohnung bringen zu
müssen, sondern auch in die Ermittlungen. Und in seine Gefühle.
Er
setzte sich auf den Balkon, schloss die Augen und ließ sich die
Sonne ins Gesicht scheinen. Sofort musste er an das tote Kind und an
Tereza denken. Er dachte an den blonden
Jüngling,
an den kleinen Bruno, an Karin Rosenherz und an Anna. Seine Gedanken
fuhren Achterbahn. Immer wieder hatte er für Minuten das
Gefühl, von einem schwarzen Strudel in die Tiefe gerissen zu werden.
Dann wieder gab die Sonne seinem Herzen für einen Moment ein wenig
Ruhe, und er freute sich darauf, Tereza bald in die Arme schließen
zu können.
Anna
hatte recht gehabt: Er hatte sich benommen wie ein Idiot. Ihm fehlte
Tereza, und ihm fehlten seine Kollegen. Sie waren es, die ihn auf
seine Schwächen hinwiesen und ihn korrigierten. Ohne sie ließ
er seinen Launen und Marotten ihren Lauf. Ohne sie fiel es ihm
schwer, sich wie ein Mensch unter Menschen zu benehmen: freundlich,
rücksichtsvoll und aufmerksam.
Er
ging zum Schreibtisch, nahm einen Bleistift, spitzte ihn an, holte
einen Stapel weißes Papier und setzte sich an den Wohnzimmertisch.
Annas
Dossier lag aufgeschlagen vor ihm. Sie hatte drei Listen mit Namen
angefertigt und jeweils einen Titel darübergeschrieben:
Die
Ermittler
Die
Verdächtigen
Die
Zeugen
Er
nahm sich die erste Liste vor und ging die Namen durch. Mit manchen
der Kollegen hatte er noch zusammengearbeitet, von einigen hatte
er gehört, andere waren ihm völlig unbekannt. Keiner der Ermittler,
die 1966 an dem Fall gearbeitet hatten, war noch im Dienst. Einige
waren bereits gestorben, von den meisten wusste er nicht, was aus
ihnen geworden war.
Er
wählte die Nummer der Staatsanwaltschaft und hoffte, dass Arthur
Sendler noch im Büro war. «Sie haben Glück», sagte die
Sekretärin, «er hat seinen Autoschlüssel vergessen und ist gerade
nochmal zurückgekommen.»
«Marthaler,
was gibt's?», meldete sich Sendler. «Ich habe es eilig, können wir
morgen telefonieren?»
«Nein,
bitte, ich brauche nur eine kleine Information. Sagt Ihnen der Name
Traugott Köhler etwas?»
«Machen
Sie Witze, Marthaler? Köhler war der leitende Staatsanwalt im Fall
Rosenherz. Natürlich kenne ich ihn. Ein fähiger Jurist! Allerdings
...»
«Was,
allerdings?», fragte Marthaler.
«Warten
Sie, ich will ihm nicht Unrecht tun: Er war schnell, sehr wendig und
von einer Bestimmtheit, die manche als machthungrig bezeichnet haben.
Ein ziemlich scharfer Hund. Er wurde Terry genannt, was ihm durchaus
gefiel.»
«Wissen
Sie, was aus ihm geworden ist?»
«Zwei
Dinge sind ihm zum Verhängnis geworden. Seine Eitelkeit und sein
Ehrgeiz. Mit dem Fall Rosenherz hatte er seinen ersten großen
Auftritt, aber auch seine erste große Niederlage. Dass er die
Sache nicht geknackt hat, hat ihm einen ziemlichen Stich versetzt.
Danach war er angeschlagen. Aber statt nun einen Schritt
zurückzutreten, ist er immer bissiger geworden. Er hat jedes Maß
verloren. Er hat immer wieder seine Kompetenzen überschritten, hat
Dinge angeordnet, die nicht mit den Richtern abgesprochen waren, hat
sich dann vor Gericht aus der Verantwortung gestohlen und die
Kollegen der Kripo ins offene Messer laufen lassen.»
«Und
wo ist das Verhängnis?», fragte Marthaler.
«Irgendwann
war er nicht mehr zu halten. Man hat ihn weggelobt - nach Wiesbaden
ins Justizministerium. Dort hat er sich auch wieder mit den falschen
Leuten angelegt, was dazu führte, dass man ihn ziemlich rasch
kaltgestellt hat. Er ist in irgendeinem Büro versauert. Soviel ich
weiß, hat er sich sehr bald frühpensionieren lassen.»
«Haben
Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden kann?»
«Soviel
ich gehört habe, hockt er öfter in der Eintracht rum,
einem Restaurant im Oeder Weg, das seit langem von einem Inder
betrieben wird. Aber ... was wollen Sie um Gottes willen von
Terry Köhler?»
«Ich
will ihm eine Frage stellen, die ich Ihnen jetzt ebenfalls
stelle ...»
«Aber
hurtig, Marthaler!», drängelte Sendler. «Meine Schwiegermutter
feiert ihren neunzigsten Geburtstag. Sie ist ein
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