Rosenherz-berbKopie
wieder.
Und sagen Sie ihm bitte nicht, dass jemand nach ihm gefragt hat. Es
soll eine Überraschung sein.»
Der
Inder zog die Nase kraus, antwortete aber nicht.
«Haben
Sie verstanden?», fragte Marthaler.
Der
Inder öffnete den Mund. Es schien, als sei sein Geist
stehengeblieben: «Überraschung?», fragte er schließlich.
Marthaler
nickte.
«Ja,
ja», erwiderte der Wirt jetzt eifrig, «ich habe verstanden.»
Verstanden
hast du sehr wohl, dachte Marthaler, aber was ich gesagt habe, ist
dir völlig egal.
Er
ging zurück auf den Oeder Weg und überquerte die Fahrbahn. Am
Adlerflychtplatz gab es einen neuen Imbiss, der den etwas
einfallslosen Namen Aroma trug,
wo man aber nach einhelliger Meinung seiner Kollegen die besten
Falafel der Stadt bekam. Stattdessen bestellte Marthaler eine Portion
Shawarma mit Krautsalat und Hummus. Dazu trank er eine Limonade mit
Holundergeschmack.
Er
setzte sich an einen der wackligen Bistrotische vor dem Häuschen und
sah dem Treiben auf der Straße zu. Es war ein warmer Spätnachmittag.
Die Angestellten aus den Büros der Innenstadt erledigten auf dem
Heimweg ihre Einkäufe. Ein Stück weiter die Straße hinauf standen
zwei Männer vor einem Kiosk, tranken Bier und schauten
ungeniert einem Liebespaar zu, das eng umschlungen auf einer
Bank unter den alten Bäumen des nahe gelegenen Kinderspielplatzes
saß und sich küsste.
Auf
dem Bürgersteig näherte sich eine junge Mutter, die einen
Kinderwagen schob. Als sie auf Marthalers Höhe war, hielt sie an,
beugte sich über den Wagen und lächelte dem Baby zu. Der Anblick
versetzte Marthaler einen Stich. Rasch wandte er sich ab.
Als
er aufgegessen hatte und seinen Teller in die Durchreiche
stellte, sah ihn der Mann dahinter erwartungsvoll an. Marthaler
zwinkerte ihm zu und hob den Daumen. Der Mann lachte.
Wie
nah doch alles beisammen liegt, dachte Marthaler unvermittelt:
dieser schöne Tag und unser totes Kind. Die Sonne und meine
finsteren Gedanken. Die Ungewissheit darüber, was werden wird, und
die vertrauten Straßen. Und plötzlich wusste er, dass er niemals an
einem anderen Ort würde leben wollen. Als ob auch der Schmerz
dazugehörte, sich ganz zu Hause zu fühlen.
Sofort,
als er die Tür zum Gastraum öffnete, sah er den Mann, der alleine
in der Ecke an einem Tisch vor einem Glas Apfelwein saß. Er war
Anfang siebzig, trug kurzgeschnittenes graues Haar, hatte ein
kantiges Gesicht und schaute Marthaler herausfordernd an.
«Herr
Hauptkommissar», rief er, «was verschafft mir die Ehre? Haben Sie
das Bedürfnis, einen Versager zu besichtigen?»
Marthaler
bedachte den Wirt mit einem zornigen Blick, den dieser mit einem
unschuldigen Lächeln beantwortete.
Er
ging zu Terry Köhlers Tisch und zeigte auf einen der freien Stühle:
«Darf ich?»
«Bitte
sehr! Es passiert nicht oft, dass mir jemand freiwillig Gesellschaft
leistet. Eher bin ich gewohnt, dass alte Bekannte die Straßenseite
wechseln, wenn sie mir unverhofft begegnen.»
Marthaler
setzte sich. «Aber wir sind keine alten Bekannten.»
Köhler
lachte. «Nein, aber Sie werden von mir gehört haben. Denn ich mag
zwar nicht sonderlich beliebt sein, aber so viel ist sicher: Ein
Unbekannter bin ich noch immer nicht in Ihren Kreisen.»
«Von
welchen Kreisen sprechen Sie?»
«Von
welchen Kreisen sprechen Sie?», äffte Köhler ihn nach. «Von
welchen wohl? Von Justiz und Polizei spreche ich. Von dem Apparat,
für den Sie arbeiten und ich leider gearbeitet habe. Von diesem
riesigen Haufen voller Luschen, Bluffer und Duckmäuser spreche ich.
Von all diesen rückgratlosen Schwanzlutschern, die nach oben
buckeln, um besser nach unten treten zu können.»
«Soviel
ich gehört habe, waren auch Sie nicht besonders rücksichtsvoll in
Ihrem Berufsleben.»
«Mit
wem haben Sie gesprochen, Marthaler? Nein ... warten Sie, sagen
Sie nichts; ich komme selber drauf. Sie haben mit Sendler gesprochen.
Mit Arthur Sendler, nicht wahr?»
Statt
zu antworten, hob Marthaler nur seine Schultern.
«Sendler
ist ein schlaues Kerlchen. Er war mir noch einer der liebsten unter
den damals jungen Kollegen. Ganz anderer Charakter als ich: fein,
zurückgenommen, bedächtig, aber schlau. Was hat er Ihnen über mich
erzählt?»
«Dass
Sie zum Opfer Ihrer Eitelkeit und Ihres Ehrgeizes geworden sind.»
«Perfekt!»,
sagte Köhler. «Schöner hätte ich es selbst nicht formulieren
können. Nur dass es mir nie um Geld oder Titel ging. Es stimmt, ich
wollte aufsteigen im Apparat, ich wollte Macht. Aber
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