Rosenmunds Tod
kaputt.«
Annika seufzte noch einmal und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. Seit neuestem ließ sie ihre dunkelblonden Haare wachsen, bald konnte sie sich einen Pferdeschwanz erlauben.
»Jetzt mach dir keinen Kopf«, tröstete Klinkert und nickte Annika aufmunternd zu. »Manchmal wache ich zwar heute noch in Schweiß gebadet auf und heule mir die Seele aus dem Hals. Wird im Laufe der Jahre aber immer seltener.«
»Gut zu wissen.«
Die ältere der beiden Polizistinnen zwinkerte, dann stand sie auf, trat an einen der Aktenschränke, zog einen Ordner aus dem untersten Fach und zauberte eine schon arg verstaubte Flasche Cognac ans Tageslicht.
»Die hab ich mir mal für besonders schwere Fälle besorgt«, erklärte sie. »Heute ist so ein Tag. Auch einen?«
Schäfer grinste und schob ihr schmieriges Wasserglas in die Mitte des Schreibtisches.
Alkohol war streng genommen im ganzen Präsidium tabu, allerdings gab es wohl kein einziges Dezernat, in dem man sich eisern an die Vorschrift hielt. Und wenn man wie die Mitarbeiter des KK 12, die ausschließlich mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wie es im neutralen Amtsdeutsch so schön hieß, zu tun hatten, hin und wieder ein paar Promille zur Stärkung brauchte, sagte niemand etwas dagegen. Solange es die Ausnahme blieb.
Klinkert goß in jedes Glas etwa zwei Finger breit von der braunen Flüssigkeit, drehte den Verschluss wieder auf die Flasche und prostete Annika zu.
»Wie lange bist du jetzt schon hier bei uns?«, fragte Klinkert nach einem kleinen Schluck.
Annika überlegte. »Knapp dreieinhalb Jahre. Kommt mir allerdings wesentlich kürzer vor.«
»So ging es mir auch. Als ich vor knapp zwanzig Jahren hierher versetzt wurde, habe ich mir geschworen, das mache ich nicht lange, sobald wie möglich ab in die nächstbeste Abteilung.«
»Und warum bist du dann immer noch hier?«
»Ganz ehrlich? Weil es ein absolut geiles Gefühl ist, so ein Schwein zu überführen. Ich glaube, wir kriegen hier Schlimmeres zu sehen als jede andere Abteilung, inklusive des KK 11. Ich will die anders gelagerten Fälle nicht bagatellisieren, aber ein Raub, ein Diebstahl, das vernarbt, sogar Mord hat etwas Finales, so widerwärtig dieses Verbrechen auch ist. Bei einer Vergewaltigung sieht das anders aus. Für die meisten Opfer fängt der eigentliche Leidensweg doch erst nach der Tat an. Vor allem wenn es sich wie hier um Kinder handelt.«
Annika rieb sich erneut ihre etwas zu groß geratene Nase. So ähnlich lautete auch ihre Philosophie.
»Und deshalb«, fuhr Klinkert fort, »sind die Erfolgserlebnisse intensiver. Auch wenn wir beileibe nicht jeden Täter erwischen. Wie sind denn deine Pläne für die Zukunft?«
Schäfer räusperte sich, bevor sie antwortete. »Ich weiß nicht. Bei dem Gedanken, in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren ausschließlich mit dieser Form des Verbrechens konfrontiert zu werden, schaudert es mich schon.«
»Das kann ich gut verstehen«, nickte Klinkert ernst. »Du musst auch keine Hemmungen haben, wenn du dich versetzen lassen möchtest. Versteh das nicht falsch, du leistest ausgezeichnete Arbeit. Aber ich befürchte, auf Dauer stehst du das nicht durch.«
Die Jüngere zuckte zusammen. »Wie meinst du das?«
Klinkert lächelte. »Meinst du, ich sehe nicht, dass dir manchmal die Tränen in die Augen steigen, wenn wir uns mit einem der Opfer unterhalten müssen? Oder wenn wir so perverse Schweinereien wie diese hier auf den Tisch bekommen? Ich fürchte, du wirst irgendwann ausbrennen. Weißt du eigentlich, dass das KK 12 die Abteilung mit der höchsten Fluktuation ist?«
»Nein«, antwortete Annika.
»Bochum ist sogar eine Ausnahme, es kommt wirklich selten vor, dass Kollegen so lange bleiben wie ich, teilweise noch länger. Hör dich mal in den anderen Präsidien um. Länger als zwei, drei Jahre stehen das nur die wenigsten durch.«
»Dann liege ich ja schon über dem Durchschnitt«, bemerkte Annika leise.
»Korrekt. Aber verpass nicht den Absprung. Innerlich kämpfst du doch schon lange mit dir, nicht wahr?«
»Ja«, gab Annika zu.
Klinkert grinste und leerte ihr Glas mit einem Zug. »Und jetzt wieder frisch ans Werk.«
Schäfer nippte ebenfalls noch einmal an dem frappierend nach Seife schmeckenden Getränk und schüttelte sich. Ein Campari-Orange wäre ihr entschieden lieber gewesen.
»Hast du schon ein bekanntes Gesicht entdeckt?«, fragte Klinkert, als sie wieder hinter ihrem Schreibtisch saß.
»Nein. Anscheinend
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