Rosenpsychosen
hatte stellen müssen. Als sie sie im Kreise ihrer Kollegen hatte erörtern wollen, hatte sie kein Wort herausbekommen, nur gesagt, die Patientin sei nicht therapiefähig. Die für Helene entscheidende Frage war unbeantwortet geblieben.
Am Tag nach der Supervision fand sie sich in einem für sie unverhältnismäßig teuren Wäschegeschäft wieder. Die Art und Weise, wie Bodys, BHs und Strümpfe präsentiert waren, war nicht die, die sie gewohnt war, geschweige denn als angemessen empfand. Sie hatte es immer für angebracht gehalten, sich ohne Hilfe einer Fachverkäuferin aus einem Stapel gut sortierter Slips drei bis fünf in Weiß und drei bis fünf in Beige in ihrer Größe herauszusuchen und dafür nicht mehr als einen Stundenlohn auszugeben. Nun stand sie in diesem Geschäft und geriet eine halbe Sekunde, nachdem sie es betreten hatte, in die Fänge eines beflissenen Quietscheentchens, das in Piccoloflötenton fragte, ob und wie ihr zu helfen sei. Sie hätte ehrlich antworten und sagen können, sie suche etwas für einen fünfwöchigen Einsatz im Bett eines Professors ohne Stofftier und sei bereit, dafür ihr gesamtesErbe hier zu lassen. »Ich suche einen Pyjama für meine Mutter, fürs Krankenhaus«, sagte Helene und erfuhr, dass dieses Geschäft Pyjamas für Mütter nicht führte.
»Versuchen Sie es doch gegenüber im Kaufhaus.«
Ich möchte aber nicht ins Kaufhaus, schon gar nicht für meine tote Mutter, dachte Helene.
»Ach, das werde ich tun. Vielen Dank, auf Wiedersehen.«
Als sie schon einen Fuß in die Fußgängerzone gesetzt hatte, machte sie eine Kehrtwende und betrat den Sündenpfuhl aufs Neue. »Da fällt mir ein, ich brauche noch etwas Wäsche.«
Schon als sie das Wort »Wäsche« aussprach, mutmaßte sie, dass dies nicht der richtige Ausdruck für diese Art von Kleidung war.
»Aber gern, was darf ich Ihnen denn zeigen, Einteiler, Zweiteiler, lieber sportlich oder elegant?«
Einteiler? Helene besah sich die Einteiler auf den abgeschnittenen Frauenrümpfen. Die Strippen im Hintern mussten doch scheuern. Herrmann war es immer egal gewesen, was sie für Unterwäsche trug. Sie hätte welche aus Gips oder aus Aluminium tragen können – Herrmann hätte es nicht bemerkt. Aber Olaf hatte Stil. Wenn Helene sich ein Kleid anzöge mit fünfundfünfzig kleinen Knöpfen, dann würde Olaf ganz in Ruhe vor dem knisternden Kamin jeden einzelnen öffnen und souverän das in Empfang nehmen, was sich ihm bot. Er würde einfach nicht sehen, was sie ungern sah, wenn sie vor einem Spiegel stand. Nur Männer ohne Plüschtiere vermochten das. »Ich glaube, doch eher Zweiteiler. Schwarz.«
»String?«
»Nein, ganz normal, bitte.«
»40?«
»Nein, 38«, log Helene. Sie hatte fest vor, innerhalb der nächsten vier Wochen noch auf 38 zu kommen.
»B oder C? Ach, ich gebe Ihnen mal beide Größen, die fallen sehr unterschiedlich aus.«
Während sie auf Quietscheentchens Rückkehr wartete, beantwortete sie sich eine quälende Frage: Ja, sie war neidisch. Neidisch auf eine Kinderkonfektionsgröße und alle möglichen Männergeschichten, obwohl sie gar nicht wusste, ob es da tatsächlich etwas zu beneiden gab.
Die Ankleide war äußerst freundlich gehalten. Der getönte, etwas streckende Spiegel machte es Helene leicht, sich für acht Garnituren Dessous zu entscheiden.
»Die nehme ich. Das wäre dann alles.«
»Sehr gern – das macht 575,38 bitte. Zahlen Sie bar oder mit Karte?«
Ich glaube, ich zahle gar nicht, sondern gebe Ihnen den ganzen sexistischen Ramsch zurück und verlasse schleunigst dieses Geschäft, dachte Helene. »Mit Karte. – Sagen Sie, diese Strümpfe da, halten die einfach so am Bein, rutschen die nicht, wenn man sich bewegt?«
»Was, rutschen? Nein! Selbstverständlich halten die! Nicht einen Millimeter verrutschen die, mit denen können Sie sogar Trampolin springen, wenn sie Ihnen dafür nicht zu schade sind.«
Ganz sicher hatte Olaf im Schlafzimmer ein riesiges Trampolin, von dem aus man direkt in den Jacuzzi springen konnte.
Helene ließ sich noch fünf Paar Strümpfe einpacken, nahm, ohne es anzuprobieren, ein schwarzes Seidennachthemd mit Spaghettiträgern, bezahlte 892,06 Euro und machte sich auf den Weg zur Schule, um Moritz und Fabian abzuholen.
10
Es kommt zu einer Zusammenkunft,
in deren Verlauf Helene und auch Marie beschließen,
nun doch ernsthaft zusammenzuarbeiten
Helene steuerte gerade vom Marktplatz auf die Straße zu, als sie innehielt und stehen blieb. Durch die
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