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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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›unglaublich‹ das richtige Attribut dafür ist, nun ja. Kommt mir etwas schlicht vor, diese Beschreibung.«
    Helene nickte, ging aber nicht darauf ein. »Passen Sie auf: Ich gehe davon aus, dass Sie zu mir zur Psychotherapie kommen. Ich gebe Ihnen jetzt einen Fragebogen und lasse Sie allein. Füllen Sie den Fragebogen aus, hier und jetzt. Sollten Sie das doch nicht wollen, dann gehen Sie einfach. Falls Sie mich suchen – ich bin nebenan in der Praxis und mache meine Abrechnung.«
    Marie hatte die Schultern hochgezogen und bestätigte durch Kopfnicken alles, was Helene sagte. »Hätten Sie vielleicht ein Glas Wein?«
    Die Flasche Bio-Rotwein, die Helene auf den Tisch gestellt hatte, war halb leer, als sie nach einer Stunde nach Marie sah. Die Schminke ihrer Patientin war ihr bis auf die Schlüsselbeine getropft. Sie gab ein verheerendes Bild ab, allerdings nicht ganz unerwartet. Die Ruhe selbst, setzte sich Heleneauf das Sofa, schlug die Beine übereinander und fragte Marie, ob sie fertig sei.
    »Ja, alles fertig. Kann ich mal Ihr Bad benutzen?«
    Als Marie wiederkam, saß Helene immer noch in derselben Haltung auf dem Sofa. Den Fragebogen hatte sie nicht angerührt.
    »Ich werde das lesen und dann für Sie die Therapie beantragen. Kommen Sie nächste Woche Dienstag, wie immer. – Ja? Kommen Sie.«
    »Gut«, flüsterte Marie, »ich gehe jetzt.«
    Helene hatte eine schlaflose Nacht. Sie hatte den Rotwein ausgetrunken und gelesen. Das »Stabat mater« und die Antworten auf dem Fragebogen passten zusammen. Exhibitionistisches, Verworrenes standen neben glasklar Sachlichem, geradezu Gefühllosem. Freilich wusste Helene, dass sich hinter den knappsten und nüchternsten Auskünften die größten Emotionen verbargen. Alles war wohlformuliert. Ist es nun eine Gnade oder eine Tragik, fragte sich Helene, dass es sprachlich gewandten Menschen möglich ist, ihre Formulierungen ganz bewusst entgegen ihren eigentlichen Empfindungen zu wählen? Längst war klar: Das Dummchen, das Marie vorgab zu sein, war sie nicht. Aber warum dieser extrem tussihafte Aufzug? War so viel Schutz, so viel Abkehr vom Innersten nötig?
    Wenn Marie allerdings sprach, drückte sie sich oft so kindlich aus – als wäre sie einfach stehen geblieben in der naiven Hoffnung, immer ein Kind bleiben zu können, sechs Jahre alt, jeder Vernunft trotzend. Diese Frau schien eingehüllt in eine Wolke von Traurigkeit und Todessehnsucht – und doch war sie auch stark, immer zum Kampf bereit und nach außen hin strahlend wie ein Glückskind. Nicht wenigen Mädchen ging es so: Sie entwickelten sich äußerlich, heirateten, bekamenselbst Kinder, ließen sich scheiden, suchten, suchten und wurden nie fündig, kamen niemals an. Der unangenehme Typ Frau, der brave Ehemänner und deren Ehefrauen rasend macht, blieb ihre neue Patientin trotz allem. Dennoch: Helene mochte sie plötzlich. Der kleine Neid hatte sich als harmlos herausgestellt und verflüchtigt.

11
    Es gibt durchaus unterschiedliche Auffassungen
    von Liebe und dem Sinn von Treue
    Die Party war vorbei. Ein Taxi brachte die letzten Gäste fort, was stets eine grässliche Leere in Marie hinterließ, nachdem sie sich stundenlang in einem Bad aus oberflächlichen Komplimenten, aufgefüllt mit Champagner, gesuhlt hatte. Bis in den frühen Morgen hatten sie Musik gemacht. Willi hatte mit seinem Klavierspiel alle verzaubert, keinen Gassenhauer ausgelassen. Es war ein gelungenes kleines Fest gewesen – ohne Anlass und höheren Zweck. Bis auf Wasser waren alle Getränke mitgebracht worden, nachdem es sich wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, wie desaströs die finanzielle Lage der Gastgeber auf einmal war. Man hatte das große Terrassenzimmer nebst Terrasse sowie den Garten in Beschlag genommen, und ein letztes Mal hatte Marie ihre polnische Haushaltshilfe und deren Freundin gebeten, für Küche und Service zu sorgen. Ab der nächsten Woche würde Marie den Haushalt allein bestreiten, wofür sie ein befreundeter Arzt bereits mit einer Klinikpackung Einmalhandschuhe eingedeckt hatte.
    Partys wirkten wie Psychopharmaka, konnten so wunderbar manisch machen. Das Leben ein Fest. Es war schmerzhaft, ja, beleidigend, wie schnell und vehement die Manie ihren Kontrapunkt einforderte. Und es stank nach Verrat, dass ein schallendes Lachen sich ohne Erlaubnis aus dem Staub machte. Eben noch waren beginnende Krähenfüße Ausdruckcharmanter Reife gewesen, mit dem letzten Taxi waren sie plötzlich ein Zeichen von Müdigkeit,

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