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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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und Kerzen kaufen oder so? Vielleicht ins Antiquariat, eine antiquarische Ausgabe von Simone de Beauvoir bestellen? Ich meine ja nur, muss alles erledigt werden. Wenn die Kinder schon mal weg sind. Wo sind sie denn überhaupt? Im Museumsdorf Dahlem? Da vorne ist geradeSchlussverkauf, da gibt es bequeme Schuhe in Ihrer Größe für neun Euro. Morgen sind sie vielleicht weg. Und waren Sie überhaupt schon in der Kirche heute? Ich glaub, die rauchen da drinnen heimlich. Jedenfalls war eine Kippe im Weihwasser. Im Ernst.«
    »Stopp. Hören Sie auf. Sie bemühen sich so sehr, von mir gesehen zu werden. Gleichzeitig möchten Sie sich in Luft auflösen. Sie wollen mich beleidigen, um später beteuern zu können, dass Sie mich nicht beleidigen wollten. Ihre Bemühungen sind nicht notwendig. Ich sehe Sie. Kommen Sie mit hoch, ich habe etwas für Sie.«
    Wieder hatte Helene ein Tabu gebrochen. Vielleicht waren Tabus gerade dazu da. Wohl war ihr nicht, unwohl auch nicht. Noch nie hatte sie eine Patientin in ihre Wohnung gebeten. Helene bot ihr das Sofa an, wahlweise einen viktorianischen Sessel.
    Marie klapperte mit den Zähnen und setzte sich kerzengerade auf einen Stuhl. Aus der Küche drang der Duft von Kirsche und Vollkornbrot. Bestimmt so widerliche Küchenduftkerzen, dachte Marie.
    »Trinken Sie Tee?«
    Marie hasste Tee.
    »Sehr gern, vielen Dank.« Sie sah sich um, und ihr brach der kalte Schweiß aus, als sie im Geiste versuchte, den Inhalt der zahlreichen Bücherregale umzuarrangieren. Es fühlte sich an wie eine Achterbahnfahrt. So ging das alles nicht, klarschiffmachen musste man hier. Ihr Blick fiel auf die Notensammlung, die sich ungeordnet auf dem Klavier stapelte. Sie stand auf und nahm das oberste Notenheft zur Hand. Grieg? Nein, Grieg konnte niemals oben liegen, Grieg lag immer in der Mitte. Mit zitternden Händen wühlte sie den Stapel zunächst nach Bach, Beethoven, Chopin, Clementiund Debussy durch. Als Helene den Tee brachte, rutschten ihr Bach und Beethoven aus der Hand und landeten auf dem Geigenkasten, der neben dem Klavier lag. »Entschuldigung. Ich wollte nur hier die Noten – mal ansehen. Spielen Sie Klavier?«
    »Ja, im Moment am liebsten Grieg. Und Sie?«
    Etwas Kuscheltier-Weiches arbeitete sich vom Zwerchfell aufwärts zu Maries Gesicht, das sich, ob sie es wollte oder nicht, erhellte, wenn die Rede auf Musik kam. »Ja, ich spiele. Seit Neuestem gebe ich Unterricht. Und wer spielt die Geige?«
    Helene stellte den Tee auf ein grünes Mosaiktischchen. »Auch ich, nur leider fehlt mir zur Zeit etwas die Muße dafür. Sie wissen ja selbst, wie zeitintensiv es ist, die Kinder zu bespaßen. Sie geben Unterricht? An der Musikschule?«
    »Bespaßen« – so ein gottserbärmliches Wort, dachte Marie. Und, nein, bohrende Fragen hatte sie nicht provozieren wollen. Wieso sollte sie darauf antworten, wo sie Klavierunterricht gab. Wen interessierte das? Die Neugierde der Menschen kennt wirklich keine Grenzen, dachte sie. Andauernd soll man mit sinnlosen Informationen aufwarten. Wenn sie antwortete, sie gebe nur privat Unterricht, käme als Nächstes natürlich die Frage, wie viele Schüler sie hatte, welchen Alters und welcher Art sie waren. Sie hatte keine Lust, sich jetzt über Perverse beziehungsweise völlig untalentierte Kleinkinder auszulassen, die schamlos in ihren Steinway husteten und schmutzige Fingernägel hatten, und fragte stattdessen: »Und die Trompete, und die Klarinette? Spielen Sie die auch alle?«
    Helene goss den Tee ein und ließ auch in Maries Tasse ungefragt ein Stück Zucker fallen. »Nein, die spiele ich nicht. Die Trompete spielt Moritz, mein jüngerer Sohn, und die Klarinette Fabian. Eigentlich singe ich am liebsten. Unddann singe ich auch hier im Kirchenchor. Wir proben gerade das ›Stabat mater‹ von Dvořák, ein unglaubliches Stück Musik.«
    Marie sah Helene in die Augen und hätte beinahe gesagt: Ich liebe Sie. »Ja, das glaube ich, dass Sie im Kirchenchor singen. Da fühlen Sie sich bestimmt zu Hause. Da laufen sie doch alle in so Säcken rum und tragen orthopädisches Schuhwerk, oder?«
    »Hier ist Ihr Tee. Setzen Sie sich doch.«
    Marie setzte sich wieder auf den Stuhl. »Entschuldigung. Ich wollte etwas ganz anderes sagen. Pardon, ist mir so rausgerutscht. Ist ja Ihre Sache, was Sie für Treter tragen. Ich wollte eigentlich sagen, dass ich das ›Stabat mater‹ kenne. Dvořák hat es geschrieben, weil ihm die Kinder weggestorben sind, glaube ich. Ob allerdings

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