Rosenpsychosen
hat uns Gutenachtgeschichten vorgelesen, hat uns morgens auf Vordermann gebracht, uns Essen gekocht, ansonsten den ganzen Tag gearbeitet und viel gelesen. Sie hat eben alles gemacht, was gute Mütter so machen. Ist doch nett und gut, oder nicht?«
»Ja. Natürlich ist es das. Mich interessiert aber Ihr inneres Verhältnis zu Ihrer Mutter. Fühlten Sie sich geborgen, sicher?«
»Inneres Verhältnis? Was ist das denn für eine Formulierung? Ein Verhältnis kann doch nicht innen sein.«
»Doch! Und hören Sie auf mit Ihren Spitzfindigkeiten. Sie lenken nur ab.«
»Entschuldigung. Schon gut. – Sicher, geborgen … glaub schon, klar. Wieso denn nicht? Sagen Sie mal, kann es sein, dass Sie Probleme heraufbeschwören wollen, wo gar keine sind? Gehört das irgendwie zu Ihrem komischen Job? Hier ein bisschen kratzen, da ein bisschen stochern, und dann wird man schon irgendwann fündig?«
»In dem Fragebogen haben Sie als typische Sätze Ihrer Mutter angegeben: ›Darüber solltest du noch mal nachdenken‹, und ›Na, ob das so richtig ist‹, und ›Davon stirbt man nicht‹. Das sind die drei Sätze, die Ihnen besonders präsent sind. – Wissen Sie, was ich glaube? Dass Sie das Gefühl haben, Ihrer Mutter nichts gut genug zu machen. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre. Könnte es sein, dass Sie Angst haben, Ihre Mutter mit dem, was Sie belastet, zu behelligen, weil Sie befürchten, Ihre Mutter könnte dann sagen: ›Davon stirbt man nicht‹?«
»Natürlich. Ich bin ja schließlich auch nicht gestorben. Aber ist es nicht ganz normal, nicht alles mit ihr zu besprechen? Erzählen denn andere Töchter ihren Müttern alles?«
»Viele tun es nicht, das stimmt schon. Die Frage ist, ob das unbedingt so sein muss. Und interessant ist immer wieder: Warum nicht? Warum denken die meisten Töchter, dass sie es ihren Müttern nicht recht machen? Und warum reden sie nicht mit ihnen? – Aber von den meisten Töchtern wieder zu Ihnen, denn um Sie geht es hier. War Ihre Mutter stolz auf Sie?«
»Was soll denn das jetzt schon wieder?«
»Es wird einen Grund haben, warum ich Sie das frage. War Ihre Mutter stolz auf Sie?«
»Na klar.«
»Welche Gründe hatte sie, stolz auf Sie zu sein?«
»Braucht man dafür Gründe? Weiß nicht. Vielleicht war sie auch nicht stolz auf mich.«
»Ihr erster Impuls war, dass sie stolz auf Sie war.«
»Na ja, so direkt gesagt hat sie es nie, aber das Gegenteil auch nicht. Ist mir aber eigentlich auch egal.«
»Ja?«
»Ich meine, was erreichen wir, wenn wir diese Frage geklärt haben?«
»Sind Sie eigentlich stolz auf Ihre Kinder?«
»Ich?«
»Ja, Sie.«
»Ich bin megastolz auf meine Kinder. Und ich sage und zeige es ihnen fast jeden Tag. Ich nehme sie in den Arm, sehe sie an und sage ihnen, was sie fantastisch gemacht haben, auch wenn sie total versagt haben. Das mache ich. Ich nehme an, darauf wollten Sie hinaus. Ich bin also stolz auf meine Kinder und zeige es ihnen. Aber auf die Fortsetzung dieses Gedankens, auf die Demontierung meiner Mutter, habe ich keine Lust, ehrlich gesagt. Ich bin überzeugt davon, dass sie getan hat, was sie konnte.«
»Das glaube ich auch. Und demontieren werden wir Ihre Mutter gewiss nicht. Wir montieren sie. Wir sind dabei, uns zu Ihrer Persönlichkeit vorzutasten, mehr nicht. Sie haben zwar keine Lust dazu, aber überlegen Sie trotzdem: Was haben Sie getan, auf das Ihre Mutter hätte stolz sein können? Was für ein Kind waren Sie?«
»Oha. Hab ich eigentlich mit dem Ausfüllen des Fragebogens zugesagt, hier jede läppische Psychofrage zu beantworten?«
»Ja, haben Sie. Es wird nicht zu Ihrem Schaden sein.«
»Na gut. Dann wollen wir das mit Mutti mal klären. Also, wenn ich es recht bedenke und mal ganz ehrlich bin – und ich bin jetzt mal ganz ehrlich –, dann finde ich tatsächlich,meine Mutter hätte schon mal ein Lächeln rüberwachsen lassen können, für so einiges. Also, was heißt … ich meine … ich wäre jedenfalls an ihrer Stelle stolz auf mich als Kind gewesen. Obwohl …«
»Worauf zum Beispiel?«
»Hm. Klassenbeste? Hätte sie darauf stolz sein können? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich stolz bin, wenn Pasi eine Eins mit nach Hause bringt. Was noch … Erster Preis bei Talentwettbewerben – ist das ein Grund? Und dass ich als Einzige mit neun Jahren noch auf der Musikschule aufgenommen wurde, obwohl für Geige bei sieben Jahren Schluss war, und vielleicht, dass ich beim Berliner Malwettbewerb den ersten Preis bekam und mein
Weitere Kostenlose Bücher