Rosenpsychosen
schlechtem Lebenswandel und Verfall.
Marie spürte, wie sich die Depression einen Weg bahnen wollte, und ging dagegen an. Sie drapierte ihre Füße auf Martins Oberschenkel und goss sich ein letztes, vielleicht vorletztes Glas warm gewordenen Champagners ein. Ihr weißer Rock glitt langsam über die Knie nach oben und gab den Blick auf noch weißere Spitze frei.
»Weißt du was?«, fragte sie, die Stimme tief und verführerisch. »Ich liebe dich.«
Ungerührt nahm Martin einen Schluck aus seiner Bierflasche. »Immer wenn du sagst, dass du mich liebst, bist du betrunken, und dein Blick schweift in die Ferne. Bist du sicher, dass du mich meinst? Irgendjemanden liebst du, das glaube ich, aber nicht mich.«
Marie begann zu schmollen. Sie hatte sich aufgerafft, etwas Nettes zu sagen, um vor sich selbst ihre Leere zu verbergen, und Martin unterbrach nun ernsthaft dieses Spiel, für das sie doch allmählich Akzeptanz erwarten durfte.
»Ach du immer mit deiner Liebe«, jetzt drehte sie den Spieß um, »was heißt das schon! Wo steht denn bitteschön geschrieben, was das überhaupt ist? Klar liebe ich dich! Du willst es nur nicht wahrhaben, dass es eben unterschiedliche Arten von Liebe gibt. Ich meine, ich liebe meine Kinder, zum Beispiel. Meine Mutter auch und meine Geschwister. Und dich auch. Warum nicht?«
Martins Gesicht nahm einen zynischen Zug an, was Marie zu einem kritischen Anheben ihrer linken Braue veranlasste. »Nein, Schnuckelpuppe. Du liebst es, geliebt zu werden, möglichst von dem ganzen Rest der Welt. Natürlich will ich nicht abstreiten, dass du deine Familie liebst – auch mich von mir aus irgendwie. Aber wenn du mich so lieben würdest,wie es normal wäre bei einem Ehepaar, dann müsstest du nicht so oft und so offensichtlich auf die Jagd gehen und dir Bestätigung für was auch immer holen. Dann würde ich dir genügen. So wie du mir genügst. Aber du genügst dir selbst ja nicht im Mindesten. Und rede dich nicht mit Definitionsfragen heraus. Hast ausgerechnet du die Kompetenz, Liebe zu definieren?«
»Da sieht man mal wieder, wie blöd und einfach gestrickt du bist. Unsinn ist das! Entweder hat jeder Mensch die Kompetenz, Liebe zu definieren, oder niemand. Wenn das eben meine Art von Liebe ist, dann ist die genauso gültig und kann nicht angezweifelt werden. Ebensowenig wie deine antiquierte Art von Liebe. Wenn du meinst, zur wahren Liebe gehört es, immer treu zu sein, dann bitte. Das zweifele ich ja auch nicht an, obwohl ich es selten dämlich und etwas schlicht finde. Schließlich sind wir ja keine Enten, du Spießer.«
Martin wusste, wenn er jetzt seiner Müdigkeit nachgab und ins Bett ging, würden er oder, schlimmer noch, die Kinder Marie morgen früh abermals vom Parkett kratzen müssen. Und dessen war er noch müder. »Meine antiquierte Art von Liebe ist aber notwendig, deine innovative Art von Liebe zu ertragen, mein Schatz. Sei du mal mit jemandem zusammen, der deine Auffassung von Liebe teilt – na, gute Nacht! Du könntest gar nicht so schnell gucken, wie die Beziehung wieder beendet wäre. Gegenseitig zerfleischen würdet ihr euch nach drei Wochen lustigen Auslebens. Davon abgesehen, dass ich nicht weiß, was solch eine Beziehung dann überhaupt soll. Aber das wirst du mir bestimmt gleich wieder erklären. Kannst dir die Energie aber auch sparen. Ich will dir nur sagen, dass ich keine Ahnung habe, wie lange ich das alles noch mitmachen kann. Vielleicht noch lange, vielleicht aber auch nicht.«
Marie bemühte sich sehr, nach Martins letzter Ansage beleidigt zu wirken. Sie stand auf, setzte sich rittlings auf die mit rotem Samt bezogene Klavierbank und stützte sich mit nach hinten ausgestreckten Armen ab. »Ah, jetzt kommst du wieder mit deiner Eifersucht und deinen Drohungen. Ich will dir mal was sagen: Ich verlasse dich nicht. Und du verlässt mich erst recht nicht. Weil du nämlich keine Frau findest, die deine Ansprüche und Neigungen erfüllt und trotzdem brav wie ein Schaf ist. Gibt’s nicht. Kannst du vergessen. Und außerdem verstehen wir uns, das ist doch auch nicht zu verachten. Ganz davon abgesehen, dass auch noch zwei Kinder versorgt werden wollen. Du wirst ja wohl damit leben können, dass ich mich ab und zu auch mit anderen Menschen unterhalte! Mein Gott, eigentlich ist diese ewige Diskussion darüber mehr als lächerlich. Ich meine, was erwartet man denn vom Leben? Treue? Ist das alles? Fünfundachtzig Jahre lang Treue? Wie aufregend! Was willst du sagen, wenn du in
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