Rosenpsychosen
Jahre her, dass Sie ihn verlassen haben. Seit wann ist er krank?«
»Seit einem Jahr. Er ist operiert worden, hat selbstverständlich das ganze Programm absolviert, und jetzt versucht er es mit neuen Therapien aus Amerika.«
»Das ist eine ungeheure Anschuldigung. Fühlen Sie sich schuldig an seiner Krankheit, seinem Unglück?«
»Natürlich nicht. Blödsinn.«
»Aber Sie haben ihn doch verlassen, und er war unglücklich. Betrogen haben Sie ihn auch, oder nicht?«
»Trotzdem. Sie hätten es Pasi nicht sagen dürfen. Sie istnoch ein Kind und weiß nichts von all dem Hickhack zwischen Erwachsenen. Das hätte er ihr nicht zumuten dürfen, und er hätte seine Charakterlosigkeit nicht ihrer Kinderstärke entgegensetzen dürfen.«
»Fühlen Sie sich schuldig?«
»Nein!«
»Nein? Gut!«
»Ja, doch! Natürlich! Ich habe ihn ja auch betrogen, und wer weiß, ob ich ihn überhaupt jemals geliebt habe. Er war so unglücklich, als ich gegangen bin. Er war über all die Jahre so unglücklich. Seine Freunde und Verwandten, zu denen ich noch Kontakt habe, sagen mir, die einzige Frau, die er jemals geliebt habe, sei ich gewesen. Bei aller Eitelkeit – das will ich nicht wissen. Und jetzt hat er kurz nach der Diagnose diese Frau geheiratet, die von Stütze gelebt hat und die Namen der Väter ihrer Kinder nicht kennt. Sie ist ihm die Hölle auf Erden, weil sie primitiv, ordinär und hässlich ist. Er hat nur Angst davor, alleine zu sterben. Er leidet! Das hat er mir selbst gesagt, als wir noch miteinander gesprochen haben. Diese Frau spürt das natürlich auch. Die Primitiven haben ja immer die besten Instinkte für das, was ihnen gefährlich werden kann. Sie ruft einmal wöchentlich nachts betrunken bei uns an und spuckt Gift und Galle. Er ist immer noch unglücklich, und er wird bald unglücklich sterben. Würden Sie sich denn da nicht schuldig fühlen?«
»Hören Sie auf zu lachen, bitte. – Gut. – Was sagt eigentlich Ihre Mutter dazu?«
»Ha! Meine Mutter! Sie sagt, jaja!, es gebe durchaus diese Theorie, dass man vom Unglücklichsein Krebs bekomme. Manchmal wünschte ich, sie wäre einfach mal still.«
»Es wird gleich klingeln. – Wie Sie wissen, bin ich auch Ärztin. Und ich sage Ihnen was: Adam bekam diese Diagnose nicht, weil Sie ihn verlassen haben. Wie er mit dem Verlassenwerdenumgeht, wie er mit seiner jetzigen Frau umgeht, mit Pasi und, ganz wichtig, wie er mit sich selbst umgeht, ist einzig und allein sein Problem, nicht Ihres. Das klingt hartherzig, aber es ist so. Eine Schuldfrage gibt es hier nicht. Indem Sie sich schuldig fühlen, mischen Sie sich geradezu anmaßend in etwas ein, das Sie nichts angeht. Sie sind nicht die erste und auch nicht die letzte Frau, die ihren Mann betrogen hat. Obwohl ich das Wort ›Betrug‹ in diesem Zusammenhang nicht mag. Fremdgegangen wird, seit es uns Menschen gibt. Und wer hat die Kompetenz, zu entscheiden, ob das falsch oder richtig ist. Vielleicht ist es keines von beidem – vielleicht ist es, nun ja, manchmal das Gebot der Stunde. Was Ihre Trennung angeht, kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie sich in guter Gesellschaft befinden, und zwar schon hier in diesem Zimmer. Nicht nur das: Vielleicht haben Sie ja als Einzige erkannt, was zu tun ist. Vielleicht haben Sie genau das Richtige getan. Es war keine Liebe mehr vorhanden, und Sie haben ihn verlassen. Warum sollte das falsch gewesen sein? Es spielt aber jetzt keine Rolle mehr, ob jemals Liebe zwischen Ihnen vorhanden war. Sicher, von außen betrachtet – und Sie betrachten die Dinge viel zu sehr von außen – mag es nicht gut aussehen, aber wen interessiert schon die Optik? Uns hier nicht. Vielleicht tun Sie häufiger das Richtige, als Sie denken. Und noch was: Die schlimmsten Probleme haben und machen die verlassenen und verletzten Männer. Die mit den Teddybären und den Plüschhasen. Hier in der Psychotherapie sitzen allerdings immer nur die Frauen. Das gebe ich Ihnen mal mit auf den Weg: Werden Sie sich Ihres eigenen Handelns bewusster. Und strafen Sie sich nicht für etwas ab, das Sie getan haben, als Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte waren.«
Sie hatte erstmals richtig geredet und bereitwillig etwas mitgenommen für sich, etwas zum Reflektieren, zum Sich-setzen-lassen.Leer im Kopf und leichtfüßig erreichte Marie das Seeufer und breitete ihr vier Quadratmeter großes weißes Laken auf dem Rasen aus. Auf Weiß konnte man Feinde am schnellsten ausmachen. Ameisen und Käfer überwältigte sie in der
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