Rosenpsychosen
neben Martin und zog die Brauen zusammen. »Wie, du siehst den ›Ring‹?«
»Mit meiner Freundin. Sie liebt Opern.«
»Ach. Deine Freundin, ja? Und sie liebt Opern!«
»Ja, sehr.«
»Ah ja, ist ja interessant. Das freut mich aber für dich, dass du eine Freundin hast! Aber sonst hast du noch alle auf der Latte, ja?«
»Aber ja! Ich dachte, du würdest es schon überstehen, wenn ich mich mal mit jemand anderem unterhalte. Waren das nicht in etwa deine Worte? Ist doch nicht schlimm, oder? Dieser ganze Monogamie-Mist – was soll der schon!«
»Wenn ich das sage, ist das etwas ganz anderes, als wenn du auf meiner Auffassung Trittbrett fährst, ja! Das Problem ist nämlich, dass du das gar nicht leben kannst, ich aber sehr wohl. Und weißt du was? Leute, die Opern lieben beziehungsweiseMusik oder Malerei oder überhaupt Kunst, sind komplette Simpel. Ich meine«, Marie warf theatralisch die Arme nach oben, »was ist denn das für eine Aussage: Opern zu lieben. Es gibt himmlische und saumäßig schlechte Opern. Es gibt göttliche Musik und welche, die die Bezeichnung Musik nicht einmal verdient! Und wer nicht in der Lage ist zu differenzieren, der gehört eigentlich ausgeschlossen vom kulturellen Leben. Hat denn deine Freundin sonst noch irgendwelche Qualitäten? Mag sie vielleicht Reisen, Kino und Kinder? Oder Kekse?«
»Tja, wie soll ich es sagen, ohne dass du einen Weg findest, darauf herumzureiten. Ja, sie mag Kinder, hat selbst eines. Stell dir vor, sie liebt es nicht nur, sie kümmert sich auch darum, dass es ihm gut geht. Und zwar jeden Tag. Ungewöhnlich, stimmt’s?«
Maries Ober- und Unterkiefer mahlten aufeinander, was man hätte hören können, wenn nicht inzwischen das ungeheuerliche Gebrüll der erwachten Vögel angehoben hätte.
»Du bist ja betrunken und deswegen so verletzend. Ekelhaft bist du, zynisch und nur sauer, weil ich weg war. Du hast gar keine Freundin, das bringst du gar nicht fertig. Du liebst mich! Verfallen bist du mir, du Idiot!«
Martin schlug den Opernführer zu, nicht ohne schnell noch die Regieanweisung des Meisters »Siegfried hält jauchzend das Schwert in die Höhe« zu belächeln, und war die Ruhe selbst. »Nein, Schnuckelpuppe. Ich bin nicht derjenige von uns beiden, der betrunken ist. Und verfallen! Verfallen war ich dir mal. Heute liebe ich dich nur noch. Ja, das ist so. Ich liebe dich. Aber ich muss mal Luft holen, eine Pause einlegen. Und jetzt setz dich und hör zu, ohne gleich auszurasten und mich anzupöbeln. Ich brauche mal einen Menschen um mich herum, verstehst du? Eine normale Frau, die spätestens um neun da ist, wenn ich mich mit ihr für acht Uhrverabredet habe. Eine, bei der ich davon ausgehen kann, dass sie einfach nur im Stau steht, anstatt sich eventuell gerade umzubringen. Eine, mit der ich Sex haben kann, ohne dass sie danach in Sagrotan badet, eine, der ich nicht ständig den Vergewaltiger machen muss, und, ja, eine, die ich mal anfassen darf, ohne dass sie gleich zurückzuckt. Eine, die nicht alles, was gut ist, mit Füßen tritt, die nicht alles negiert, was sie vor einer Sekunde noch wütend verteidigt hat. Eine, die nicht nachts um vier aufräumt und Büroklammern sortiert, eine, die nicht säuft. Ja, auch das. Und eine, die sich nicht vor einem Maikäfer, dem saubersten See des Landes und vor allem vor sich selbst ekelt. Verstehst du? Eine, die mir nicht immer ihre Kinder aufdrückt, weil sie depressiv in der Ecke liegt oder sich sonstwie und mit sonstwem amüsieren gehen muss, um sich zu betäuben.«
»Es sind auch deine Kinder, ja!«, fauchte Marie und brachte den Opernführer in einen rechten Winkel zum Terrassentisch.
»Du sagst es: auch! Und damit sind es auch deine! Sie brauchen mich und dich. Aber ich will nicht gehässig werden. Ich brauche einfach mal eine Pause und einen Menschen, der nicht nur erwachsen aussieht, sondern es auch ist. Einen, der nachts meistens schläft und nicht immer von Albträumen geschüttelt wird. Einen, der nicht immer nur Probleme hat. Und, ja, ich nehme dabei gerne eine gewisse Differenzierungsunfähigkeit in musikalischen oder literarischen Fragen in Kauf. Das tue ich, und es tut mir gut. Ausnahmsweise brauche ich mal Luft nach etlichen Jahren, in denen ich dich vierundzwanzig Stunden am Tag künstlich beatmet habe. Vielleicht zwei Wochen oder drei. Ich klinke mich einfach mal aus, sehe den ›Ring‹, und dann werde ich schon wieder nach dir lechzen, keine Sorge. Und sollte es zwischenzeitlich wirklich mal
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