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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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von vorne nach hinten lesen. Klar, die meisten Menschen sind zu faul oder zu dumm oder beides, mal um ein paar Ecken zu denken. – Na ja, ehrlich gesagt, habe ich neulich ein Buch vorwärts gelesen, und was soll ich sagen? Es ging zwar, aber irgendwie war es auch langweilig, ich kam mir eigentlich blöd vor.«
    Nach dieser ungewohnt maßlosen Zufuhr von Alkohol verzeichnete Helene einen Schwips und lachte einfach, was sie sich, säße sie dieser lockeren Schraube jetzt in ihrer Praxis gegenüber, sicher verkniffen hätte. Sie bestellte sich einen Kir und dazu ein stilles Wasser. Die Wärme, die Marie so plötzlich und freiwillig abgab, ließ Helene die Stimmung als regelrecht gemütlich empfinden. Die Argumentation und der kindliche Eifer, mit dem Marie sich verteidigte, gefielen ihr durch und durch, und sie bedauerte es, ihre Promotion längst hinter sich gelassen und damals ein im doppelten Sinne freudloses Thema gewählt zu haben.
    »Und die Bücher, in denen Sie gerade lesen – liegen die alle queuzunkrer … ähm, kreuz und quer so auf Ihrem Wohnzimmertisch oder auf dem Nachtschisch? Also, ich habe auch mehrere Bücher an meinem Bett, aber bei Ihrem Wusch … Wunsch nach äußerer Ordnung wunnert mich das.«
    »Gott bewahre! Sie stehen natürlich im Regal. Ich nehme eines heraus, setze mich hin, lese darin, und dann stelle ich es wieder ins Regal, wo es hingehört. Der ›Pschyrembel‹ und der ›Faust‹ sind die Ausnahmen. Der ›Faust‹ darf immer imSommer mit in den Garten, und der ›Pschyrembel‹ ist mein Unterwegsbuch. Der ist immer in meiner Handtasche.«
    »Sie laufen immer mit dem Schüremmel rum? Der iss doch siemlich dick und schwer!«
    »Nein, das geht schon. – Hier, sehen Sie, so groß ist der gar nicht. Ich meine, Unterarmtäschchen kann man halt nicht tragen, aber hier, in eine normale Handtasche passt der doch ganz prima. Früher hatte ich immer das ›Köchelverzeichnis‹ bei mir, das ist schwer! Ich sag Ihnen, da bin ich richtig froh, das ausgelesen zu haben. – Sagen Sie mal, sind Sie von dem einen Gernegroß eigentlich schon betrunken? Sie müssen das trainieren! Ich trinke jeden Abend eine Flasche Wein, gut verteilt über den Abend natürlich, nicht in einem Zug. Ja, das bringt’s. Von nichts kommt nichts, oder?«, erklärte Marie, während sie Gläser und Aschenbecher auf dem Tisch wieder in Reih und Glied brachte.
    Eine kleine Melancholie stahl sich an Helene heran, als ihr wieder klar wurde, wie wenig lustig diese gesamte Konstellation war und worin ihre eigentliche Aufgabe bestand. Melancholie zu dieser Stunde in einer Bar mit dieser Frau war nicht indiziert; diese »Sitzung« war zu beenden.
    »Dima, lässu mich bidde bezahlen?«
    Was dieser selbstverständlich ablehnte.
    »Gehen Sie jetzt na Hause, und kommen Sie zu unserem Termin. – Sissie mit dem Auto hier?«
    »Nein, ich nehme ein Taxi«, log Marie, etwas beleidigt angesichts des abrupten Aufbruches. Ihr fiel unangenehm auf, dass es das erste Mal in dieser Nacht war. Wurde sie etwa kriecherisch? Nachdem sie sich gestelzt von Helene verabschiedet hatte, die unter großem Getöse von Dima aufgefordert worden war, so bald wie möglich zu »kohmen wiederr«, siehabe hier »ihmerr Freikir, kanjeschno«, stieg Marie in ihr Auto und fuhr durch die Beinahedämmerung in Richtung Vorstadt, vorbei an schlafenden, illuminierten Prachtbauten und parkähnlichen Grundstücken, bis sie die heimatliche Holperstraße erreichte.
    Sie stellte den Motor ab und ging zum Seeufer.
    Gegenüber lag die kleine Kirche, die Persius im Auftrag des »Romantikers auf dem Thron«, wie die Doofen ihn liebevoll nannten, gebaut hatte. Der Campanile war im Nebel nicht zu erkennen, aber Marie sah ihn, denn er war da. Verwirrt, gequält, aber unbestimmt gelöst, fühlend, es könne alles gut werden, beschloss sie, nie wieder Mozarts »Requiem« zu hören und ihren gesamten Schmuck in die Mülltonne zu werfen.

18
    Martin sucht bei einer Freundin Zuflucht,
    Marie entledigt sich ihres Schmuckes und eines Requiems,
    Helene treibt neuerdings die Freundschaft um
    Es war kurz nach vier Uhr morgens. Martin saß auf der Terrasse, trank Kaffee und las im Opernführer.
    Marie setzte sich auf die Gartentreppe und drehte ihm den Rücken zu. »Was liest du?«
    »Ich versuche, den ›Ring‹-Plot zu verstehen.«
    »Oh, Gott, wieso das denn?«
    »Weil ich nächste Woche den ›Ring‹ sehe, den ganzen.«
    Marie drehte sich im Aufstehen um, postierte sich schräg links

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