Rosenpsychosen
wahrscheinlich der bedeutsamste. Diese Frau hatte sie gestärkt. Irgendwie. Womit? Komisch, dachte Marie. War sie doch ein Gothic, der jemanden zum Quatschen brauchte?
»Meine Mutter ist übrigens gerade zu Besuch. Und Martin ist weg. Er hat wohl so eine Art Freundin, mit der er sich den ›Ring‹ ansieht. Eine Freundin, die Opern liebt. Nicht Wagner oder den ›Ring‹, sie liebt Opern! Na ja … Er macht quasi auch eine Schmuckpause. Hat er gesagt: Er braucht mal Pause.«
»Hmhm. Und, wie geht es Ihnen? Verstehen Sie seine Pause?«
»Klar verstehe ich die. Soll er Pause machen. Ist schon gut so. Er funktioniert immer wie ein Schweizer Uhrwerk, geht nie nach oder vor oder bleibt stehen. Man kann sich auf ihn verlassen, ja, allerdings. Obwohl ich ihm ständig von hinten in die Kniekehlen haue, funktioniert er. Und nun braucht er eben eine Pause. Es nicht zu verstehen wäre ziemlich blöd. Und ich glaube, ich will nicht mehr so grottenblöd sein. Sie haben mir das irgendwie versaut. Ich meine, ich will zwar auch nicht werden wie Sie, aber …«
»Was meinen Sie mit ›wie Sie‹?«
»Naja – wie soll ich es sagen? Ich will – auch wenn Sie oder irgendein Psychoanalytiker mich dazu bringen, mit mir … hm … ins Reine zu kommen – trotzdem keinen Kuschelsex. Ich will auch nicht vor lauter Glück fett werden oder nur noch Gesundkost zu mir nehmen und die purste Friedfertigkeit ausstrahlen.«
»Aha, vielen Dank. Glauben Sie denn – ich will Kuschelsex?«
»Quatsch. Keine Frau will Kuschelsex. Aber manche sind so in ihren Endorphinen gefangen – weiß der Geier, woher die die immer nehmen –, dass sie sich einbilden, kuscheln zu wollen. Die können gar nicht mehr anders. Und irgendwas sagt mir, dass Sie dazugehören. Vielleicht Ihre unrasierten Beine und Ihre flachen Schuhe. Obwohl – jetzt sind sie ja glatt. Tja, was denn nun? Wollen Sie nun kuscheln oder Sex?«
Nichts Privates, dachte Helene. Und verwarf es als rundweg folgewidrig.
»Ich – hatte – Kuschelsex. Wenn überhaupt. Jawohl, ich habe gekuschelt! Mein Exmann hatte einen …«
»Ha!«, grätschte Marie dazwischen, »Ihr Exmann? Könnten wir vielleicht, wenn wir hier von ihm sprechen, ihn bei seinem Vornamen nennen? Da wird es Ihnen leichterfallen zu reden. Glauben Sie mir.«
Helene machte das erstaunte bis empörte Gesicht einer Grundschullehrerin, der ein mutiger Knirps anträgt, die Tafel doch selber abzuwischen, wenn es ihr so nicht gut genug sei. Marie befürchtete schon, durch ihren Vorstoß der potenziell reizvollen Information verlustig gegangen zu sein. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und legte ein Maximalmaß an Versöhnung in ihre Augen. Helene sackte von ihrer geraden Haltung ab in die eines Anglers.
Helene nickte ein paarmal, zog die Brauen hoch und hätte beinahe gesagt: Chapeau!
»Na, dann: Herrmann heißt er. Und er hatte … er hatte – halten Sie sich fest! – einen Plüschhasen im Bett, den ihm seine Oma zum dritten Geburtstag geschenkt hat. Einen Plüschhasen! Sie wissen ja, wovon ich rede. Teddy, Hase … einerlei. Und jetzt halten Sie sich noch mal fest: Selbst wenn wir auf Reisen gingen, musste dieser Hase mit! Der Hase! Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck von meinem Ex-Herrmann entsteht: Er war kein Kostverächter, eigentlich sogar ein guter Liebhaber, aber nicht lange, und dann war ich die Mutter der Familie. Also auch seine Mutter. Hmhm. Richtig ausgelebt hat er sich woanders. Zu Hause wollte er Kakao, Mutti, die Jungs – und seinen Hasen. Ja, meinen Sie, da wäre ich noch auf die Idee gekommen, mich mal in Schale zu werfen? Für einen Hasen? Nein – und das war mein Fehler –, ich habe mitgemacht und Mutti für alle gespielt, weil ich dachte, das muss so sein. Eine dumme Gans war ich! Andererseits: Vielleicht war es auch das Richtige zu dieser Zeit. Die Kinder waren so klein, und für sie war es sicher nicht schlecht, eine richtige Hausmutti zu haben. Jetzt sind sie ja fast schon selbständig, sogar Moritz. Und wissen Sie was?«
»Was?« Marie hielt gespannt die Luft an.
»Ich habe einen Mann kennengelernt, das heißt, eigentlich kenne ich ihn schon lange, es hat sich nur in letzter Zeit etwas entwickelt – jedenfalls raten Sie, was ich mit dem will!«
»Kuscheln!«
Helene fuhr sich mit den Händen durch die Haare und offenbarte dabei – wie neulich in der Bar – lachend ihre Stirn. Sie sah wunderbar aus.
»Jaaa! Kuscheln! Und hoffentlich bringt er ein paar Steiff-Tiere mit!«, rief sie
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