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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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immer in Harmonie, immer zum Kotzen?
    Marie ging in die Küche, um sich Kaffee zu kochen. Die Wohnung war still, roch angenehm nach Schlaf. Sie trat auf die Terrasse und beobachtete eine Weile das bereits sehr muntere Treiben in den Baumkronen. Ja, ihr, dachte sie, ihr seid frei von Furcht und Traurigkeit, aber seid ihr glücklich? Nein, seid ihr natürlich nicht. Doof seid ihr. Ihr könnt nämlich nicht Seneca lesen. Sonst würdet ihr wissen, dass ihr nicht glücklich zu nennen seid, »… denn auch das Felsgestein ist frei von Furcht und Traurigkeit und ebenso das Vieh; doch wird sie niemand glücklich nennen, sie, denen jedes Bewusstsein des Glückes fehlt«.
    »Ätsch!«, blaffte Marie nach oben und meinte glatt, eine freche Antwort gehört zu haben.

21
    In Maries letzter Sitzung vor den Sommerferien lernt sie
    etwas Grundlegendes über andere Frauen, und auch ihre
    Spinnenphobie kommt zum Tragen
    Helene war fest entschlossen, diese letzte frühsommerliche Sitzung wieder auf professionelle Beine zu stellen. Nichts Privates mehr von ihrer Seite.
    Marie dagegen war sehr familiär gestimmt, wollte sich fallen lassen, an die Atmosphäre in der Bar anknüpfen und ehrlich sein. Weder psychotisch noch chaotisch oder neogotisch – nur ganz, ganz normal.
    »Na?«, fragte Marie, während sie sich in den Sessel setzte.
    Helene lachte, wenngleich psychotherapeutengemäß zurückgenommen, setzte sich ebenfalls und fragte zurück:
    »Na? Was heißt das eigentlich, wenn man ›Na?‹ sagt?«
    »Schön, Sie wiederzusehen, und wie ist es Ihnen ergangen, und war das nicht merkwürdig, dass wir zusammen in einer Bar waren, und wie hat sich die Reflexion darüber gestaltet, und wie sieht es jetzt so allgemein aus? Und überhaupt! Das heißt in diesem Fall ›Na?‹, tippe ich mal. – Na?«
    Helenes Vorsatz plumpste wie ein Stein ins trübe Wasser und ward nicht mehr gesehen. Sie gab sich Mühe, ihn wieder hochzutauchen.
    »Tja, nun sitzen wir wieder hier. – Kein Schmuck heute?«»Ha! Ich habe meinen gesamten Schmuck in die Mülltonne geworfen. Und wissen Sie, was passiert ist? Die Wildschweine haben die Tonne umgeworfen, und Pasi hat den Schmuck gefunden. Er ist zu mir zurückgekommen! Ein Zeichen! Ist das nicht ein Zeichen?«
    »Gott sei Dank! Sie haben Ihren schönen Schmuck in die Mülltonne geworfen? Warum? Sie sollen nichts wegwerfen, überhaupt nichts. Ich wollte nicht, dass Sie auf so eine Idee kommen. Ich möchte nur, dass Sie bewusst mit dem umgehen, was Ihnen zur Verfügung steht. Dazu gehört auch Ihr Schmuck. Sie sollen ihn nicht benutzen, um sich zu verstecken, sich unter ihm zu vergraben, sondern um sich zu schmücken! Und, gut, machen Sie mal eine Schmuckpause. Aber werfen Sie ihn nicht wieder weg. Behalten Sie ihn, er ist schön und besitzt doch sicher auch einen ideellen Wert.«
    »Ja, natürlich. Es war ein Einkaräter von Adam dabei. Ist das zu fassen – ich wollte einen Einkaräter wegwerfen! Nun ist er ja wieder da. – Soll ich ihn anrufen? Ich muss ihn anrufen. Ich muss es noch mal versuchen, oder? Ich habe schon tausendmal geschrieben, gebeten und gebettelt, dass er wieder ein Wort mit uns spricht, dass er wenigstens Pasi zum Geburtstag anruft. Wissen Sie, ich habe alles zugegeben, alle Schuld auf mich genommen, mich entschuldigt, sogar für Dinge, von denen ich überhaupt nichts weiß! Keine Antwort. Nur einmal eine kurze E-Mail: ›Lass mich in Ruhe.‹ Ich muss anrufen. Aber ich habe so eine gottserbärmliche Angst davor …«
    »Die Angst vergeht in dem Moment, in dem Sie es tun. Und sie wächst, je länger Sie es vor sich herschieben. – Aber noch mal einen Schritt zurück: Können Sie sich vorstellen, damit zu leben, ihn in Ruhe zu lassen – und das auch mit Pasi zu besprechen?«
    »Nein. Auf keinen Fall. Ich muss versuchen, für Pasi noch eine letzte gute Erinnerung an ihren Vater herzuzaubern. Das ist das Mindeste, das man besitzen sollte, wenn man schon keinen Vater besitzt … eine schöne Erinnerung.«
    »Ja, der Wunsch ist verständlich und richtig. – Also, dann rufen Sie ihn an, und versuchen Sie es erneut. Aber bevor Sie dies tun – wenn Sie es tun –, nehmen Sie unbedingt diese geballte Ladung Schuld von Ihren Schultern. Das müssen Sie, um überhaupt zu einem vernünftigen Gespräch in der Lage zu sein.«
    In jenem Moment fühlte Marie bereits, wie ein winziger Teil ihrer Schuld verdunstete und einer Andeutung von Stärke Platz machte. Ein kleiner Partikel nur – aber

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