Rosenpsychosen
werden?«
»Ja. – Irgendwie habe ich dann das Gefühl, noch verlassener zu sein als vorher. Ist doch alles bescheuert. Aber es muss einen Weg geben, oder? Es gibt doch immer eine goldene Mitte. Jedenfalls bin ich fest entschlossen, die mal auszuprobieren, indem man sich schlichtweg sieht. Das mache ich: sozusagen eine Visibility-Studie. Vielleicht … wenn ich es probiere … vielleicht geht es ja irgendwie doch.«
»Gute Idee. Auch, dass Sie Ihre Familie, vor allem Ihre Kinder mitnehmen wollen. Sie werden quasi wie eine kleine, von Ihnen selbst aufgestellte Armee hinter Ihnen stehen. Dasist gut. Und Sie sind Bestandteil dieses kleinen, schönen Bollwerkes. – Es klingt alles gut, was Sie sagen.«
»Echt?«
»Ja! Ich sehe, dass Sie sich auf einen bestimmten Weg machen. Der ist schmal, gar nicht komfortabel, aber im Vergleich zu Ihrem bisherigen Drahtseilakt ein amerikanischer Highway! – Was Sie sehr gefangen hält, ist Ihre Angst vor dem Verlassenwerden. Sie lesen sogar Bücher rückwärts, weil Sie es nicht ertragen können, dass sie ein Ende haben. Es ist so schwer für Sie, eine gesunde Bindung zu einem Menschen aufzubauen – selbst zu Ihren eigenen Kindern halten Sie Abstand. Und am meisten zu sich selbst! Sie verharren mit Gewalt in Ihrer Kindheit, manchmal sprechen Sie sogar wie ein Kind. Sie wollen etwas festhalten, was längst zum Schluss gekommen ist. Und damit verbauen Sie sich viele Möglichkeiten, die Ihnen das Leben als erwachsene Frau bietet. – Verlassen zu werden geht fast immer mit Trauer einher. Trauer gehört zu unserem Menschsein. Sie lässt uns nicht nur traurig sein, sie lässt uns auch wachsen, reifen, ermöglicht uns, Glück zu empfinden. Aber zu einem Trauma muss Trauer nicht werden. – Es gehört Ordnung gemacht. Nicht auf dem Küchentisch. In Ihrer Seele! Und keine Angst: Ihre Seele bleibt Ihre Seele, daran werden weder ich noch ein Psychoanalytiker etwas ändern, Gott sei Dank. – Ich möchte Sie etwas fragen: Werden Sie nach den Sommerferien mit der Psychoanalyse beginnen?«
Es versetzte Marie einen Stich, dass Helene versuchte, sie abzuschieben. »Was machen Sie im Sommer?«
»Ich? Im Sommer?«
»Ja, Sie im Sommer. Hollywood?«
»Tja. Das habe ich abgesagt. Ich habe jetzt einen Cluburlaub für mich und die Jungs an der Algarve gebucht.«
»Oh. Klingt irgendwie nach weniger schön.«
»Ist es auch. Wissen Sie was: Ich glaube, in manchen Dingen sind Sie mir weit voraus. Ich ruhe schon ziemlich in mir und habe keine nennenswerten Probleme mit meiner Persönlichkeit. Aber in … in Männerfragen bin ich nicht so versiert, das muss ich zugeben. Da ist es auf einmal vorbei mit der Gelassenheit und der Selbstsicherheit. Nun ja … und weil ich mir nicht ganz sicher war, dass das Trampolin wirklich für mich aufgestellt sein würde … habe ich das Springen abgesagt.«
»Schade.«
Urplötzlich sprang Marie von ihrem Sessel auf und versuchte panisch und hektisch nach Luft ringend, mit den Händen an ihren Rücken zu gelangen. Die nackte Angst sprach aus ihrem Gesicht, sie hatte die Augen weit aufgerissen, als würde sie gefoltert. Helene stand ebenfalls auf und fragte besorgt, was denn um Himmels willen los sei. Sie glaube, schrie Marie vollkommen hysterisch, da sei eine Spinne an ihrem Rücken. Helene fackelte nicht lange. Sie trat hinter Marie, öffnete blitzschnell den Reißverschluss ihres Kleides und suchte mit beiden Händen gründlich Maries Rücken ab. Da war nichts. Marie wurde schwarz vor Augen. Sie sank in den Sessel und atmete hastig. »Atmen Sie aus, und halten Sie die Luft an, ganz ruhig«, sagte Helene, zog den Reißverschluss wieder zu und legte für einige Sekunden ihre rechte Hand in Maries Nacken. »So, und jetzt atmen Sie ganz ruhig weiter, nur ganz wenig einatmen, das reicht. Vor allem ausatmen. Da ist nichts auf Ihrem Rücken. Ich habe in diesem Zimmer noch nie eine Spinne gesehen – hier gibt es keine. Alles gut.«
Marie atmete wieder in normalem Tempo, legte ihr Gesicht in die Hände und saß eine Weile so da. Dann sagte sie: »DieseSpinnenphobie bringt mich noch ins Grab. Aber dass diese Biester jetzt sogar schon an mir hochkrabbeln, wenn sie gar nicht wirklich da sind … Ist wahrscheinlich die Müdigkeit. Ich bin heute um fünf aufgewacht. Na ja, vielleicht, weil ich gestern nacht nichts getrunken habe außer Tee. – Oh, Gott, wo gerate ich nur hin! Und Sie sagen, es klingt alles gut?«
»Ja, das tut es. Besser jedenfalls als am Anfang. –
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