Rosenpsychosen
Auf dem Kopf trug er eine idiotische Baseballkappe. Er spielte Querflöte, und zwar grottenschlecht, wie Marie nach den ersten Sekunden seines Auftrittes feststellte. Als sie sich umsah, machte sie ganz vorne Herrn Herzog aus, der im Gras vor der Bühne saß und die Augen nicht von dem Flötisten abwenden konnte. Marie schlich sich von hinten bis auf wenige Meter an ihn heran, um ihn besser in Augenschein nehmen zu können.
Er hatte sich fein gemacht. Ein tadelloses weißes Hemd war ordentlich in eine gebügelte Jeans gesteckt worden, die Ärmel hatte Herr Herzog sogar ganz locker etwas angekrempelt, und – was ihr sofort auffiel – er trug schwarze statt weiße Socken. Marie dachte: Eigentlich sieht er gar nicht mal übel aus, wenn er weder am Klavier sitzt noch einen Fahrradhelm trägt.
Der grauenhafte Vortrag dauerte etwa eine Viertelstunde. Marie stellte sich hinter einen Kunstgewerbestand und beobachtete, wohin der Flötist und Herr Herzog sich nach dem lauen Applaus begaben. Letzterer bummelte scheinbar ziellos über das Bürgerfest; der Flötenspieler nahm seinen Flötenkoffer und ein Männerhandtäschchen und ging auf eine Theke namens »Vitalchen« zu, wo es frisch gepresste Säfte zu kaufen gab. Jetzt muss es sein, entschied Marie und gesellte sich zu ihm.
»Hallo«, sprach sie ihn an, nachdem auch sie sich einen Vitamincocktail hatte zusammenstellen lassen, »Sie haben wunderbar gespielt.« In diesem Fall sollte Heucheln doch erlaubt sein.
»Oh, hallo, ja, schön, dass es Ihnen gefallen hat. Ich spiele hier jedes Jahr beim Bürgerfest. Eigentlich spiele ich nur so hobbymäßig, ist aber mal ganz schön, so aufzutreten.«
»Hmhm«, stammelte Marie, etwas unschlüssig, wie sie fortfahren sollte. »Ja, ja … kenn ich. Ich spiele Klavier, wissen Sie. Aber ›so auftreten‹ ist nicht gerade meine Sache.«
»Hui! Klavier, das wollte ich schon immer gern spielen, aber nun ist es die Flöte geworden – auch schön. Stößchen!«
Marie schüttelte sich innerlich, gleichwohl erwiderte sie höflich mit »Stößchen!«. Sie bekam etwas Flötistenvitaminsaft auf ihr Kleid geschüttet, machte aber kein großes Gewese darum.
»Wissen Sie, dass Sie einen großen Fan hier haben? Ich meine, keinen gewöhnlichen, sondern einen, der es wirklich beurteilen kann, wie jemand spielt. Ist nämlich zufällig ein Klavierschüler von mir, deswegen kann wiederum ich das beurteilen. Er hat mich eingeladen, mal zum Bürgerfest zu kommen, weil ich mir unbedingt diesen tollen Flötisten anhören sollte! Ja! Im Ernst! Deswegen! Na ja, und da dachte ich, also wenn der das sagt, dann wird wohl was dran sein, da wird es sich schon lohnen, mal hierherzufahren. Nun bin ich hier – und siehe da: Ich bin begeistert! Toll! Wo ist er eigentlich hin?«
»Oh. Ehrlich? Ein Fan? Oh.« Auf den Wangen des Musikanten zeigten sich rote Flecken, die allerdings gar nicht uncharmant waren. »Und der ist Ihr Klavierschüler?«
»Hm«, bekräftigte Marie und nickte eifrig, »mein talentiertester. Er hat gerade erst angefangen, aber man sieht schon ganz genau, wo die Reise hingeht. Das ist oft so: Die gebildeten und wirklich kultivierten Leute, die lernen dann auch noch als Erwachsene Klavier. Unglaublich! – Wo ist er nur? Ich würde ihn Ihnen ja zu gerne mal vorstellen. Ach, ich bin übrigens Marie.«
»Angenehm. Ich bin der Dieter.«
»Oha. Na, macht ja nichts. Warten Sie, ich suche ihn mal kurz, laufen Sie nicht weg!«
Marie brauchte nicht lange zu suchen, denn Herr Herzog hockte hinter der Vitaminbude, an die Bretter gelehnt, und hatte gelauscht. Wütend sah sie auf ihn hinab.
»Herr Herzog, Sie elende Memme! Jetzt atmen Sie mal ganz ruhig aus, ja, so wie neulich, als Sie auf den See geglotzt und mir dann fast ohne Stotterer gesagt haben, dass Sie auf mich scheißen. Jetzt scheißen Sie mal auf Ihre rote Birne und versuchen, ein charmantes Gespräch mit der Schwuchtel da zu führen, ja? Ich glaube, die kann es kaum erwarten, ihrem größten Fan zu begegnen. Mann! Ich habe Sie in den höchsten Tönen gelobt! Aber das haben Sie ja alles gehört – können also jetzt getrost einen auf bescheiden machen, das liegt Ihnen ja sowieso. Und mal zu Ihrer Information: Der Typ spielt rattenschlecht, schlechter als Sie auf dem Klavier, und damit sind Sie sich voll ebenbürtig, ach, was sage ich, Sie sind ihm haushoch überlegen! Tja, noch dazu sehen Sie super aus heute – nichts wie ran an den Dieter!«
Herr Herzog erhob sich und machte große
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