Rosenpsychosen
bot.
»Sie essen Donuts mit Schokoladenüberzug? Das ist in höchstem Grade unmännlich, wissen Sie. Männer, die Schokolade essen, sind wirklich das Letzte.«
Er unterbrach kurz das Kauen und sah Marie kritisch an. »Wirklich? Das Letzte? Nicht etwa das Allerletzte?«
»Aber hallo.«
»Aha – aber hallo!«, äffte er Marie nach und schluckte runter. »Was macht denn einen Mann männlich?«
»Na, Schokolade jedenfalls nicht.«
»Hm. Aber macht sie ihn gleich ›in höchstem Grade‹ unmännlich und zum Letzten? Das ist doch, mit Verlaub, völlig verspannter Unsinn.«
»Woher wollen Sie das denn wissen? Sie als Mann können ja wohl kaum einschätzen, was einen Mann männlich und was ihn zum Allerletzten macht.«
Er schüttelte lässig-gelangweilt den Kopf. »Wissen Sie, was Frauen sind, die unwillkürlich mit den Füßen wippen, wenn sich ein Mann in der Nähe befindet, und erklären, Männer, die Schokolade essen, seien unmännlich und das Letzte?«
»Jaha, sehr vernünftig!«
»Neihein! Sie mögen zwar auf eine gewisse, oberflächliche Art reizend sein, aber erstens sind sie leichte Beute und zweitens wahrscheinlich therapiebedürftig. Aber wissen Sie was?«, und damit erhob er sich, »Weil Sie so schöne Beine haben, schenke ich Ihnen jetzt eine Rose und wünsche Ihnen einen schönen Tag hier auf der Bank. Und viel Erfolg noch!«
Er legte eine Rose zu Maries Füßen, blinzelte ihr zu und ging seiner Wege. Ja, er sah fantastisch aus.
Na, klasse, dachte Marie. Quälte sie sich eigentlich mit der richtigen Therapie herum, wenn ihr ein hergelaufener Beau innerhalb von fünf Minuten bescheinigte, reif für eine Therapie zu sein? So ein Arsch.
Sie hob die Rose auf und drehte sie in der Hand. Genau solche hatte Adam ihr in die Klinik gebracht, als Pasi geboren worden war. Achtunddreißig Stunden hatte es gedauert. Dass sie das überlebt hatte. Dass man von so vielem nicht stirbt, spricht eigentlich dafür, es gutzuheißen, dass man nicht stirbt. Und stets an ihrer Seite Adam, dem selbst im unerträglichsten Augenblick nicht übel geworden war. Nicht einmal Durst oder Hunger hatte er gehabt, die ganze lange Zeit über. Alles, woran ihm gelegen war, warenMaries Gesundheit, dass man die Schmerzen irgendwie linderte und dass sein Kind schnell und gesund auf die Welt käme. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie, gelinde gesagt, nicht sehr vorteilhaft ausgesehen. Aber er hatte sie schön gefunden. Und Pasi erst. Pasi, die drei Wochen später als geplant auf die Welt kam – mit weichen, wilden Locken und einem Claviculabruch. Na ja, Grünspan nur, aber immerhin. Sich beim Aufdieweltkommen etwas zu brechen … Ob es so schwer gewesen war, oder wollte das Ungeborene sich gegen etwas stemmen? Ach, Pasi, wolltest du weiter da in der warmen Dunkelheit bleiben und Mozart von mir vorgespielt bekommen? Hast du was geahnt?
Die Rose in Maries Hand drehte und drehte sich, während ihre Besitzerin auf den Bürgersteig starrte und alles sah, nur nicht den Bürgersteig und die über ihn hastenden Füße … Und ich, wollte ich dich vielleicht gar nicht herauslassen? Du warst kein Wunschkind, bist es erst in deinen ersten zehn Sekunden geworden …
Unterbrochen von einem Motorengeräusch, sah Marie nach oben und verfolgte mit den Augen eine Beech, die ein paar Runden über Innenstadt und Schloss drehte.
Adam, ich gehe jetzt und rufe dich an, und ich erinnere dich daran, wie schön du Pasi mal gefunden hast und wie vorsichtig du mit ihrer Clavicula warst und wie du ihr Fahrradfahren beigebracht hast und wie du sie vermisst und wie sie dich vermisst.
Die Rose war auf der Bank gut aufgehoben. Maries Beine lenkten sie direkt zum Auto, das sie scheinbar eigenmotiviert zum Flugplatz fuhr.
War sie lange nicht mehr in der Luft gewesen! Auf dem Rollfeld war ihr mulmig geworden; die waren verrückt, ihr das Ding anzuvertrauen. Aber beim Start schon kam die Befreiung:Sie hatte es noch drauf – wie Fahrradfahren. Alles verlief automatisch. Startgeschwindigkeit, Klappen, Steigwinkel, Mixture, Umdrehungen. Sie meldete sich ordnungsgemäß über Funk ab und zog los, das Land zu besichtigen.
Die Nachmittagssonne bescherte dem Blick eine wahre Sommermärchenwelt aus Raps- und Sonnenblumenfeldern, sattgrünen Waldstücken, gut besuchten Spaßbädern, Schlössern, Kirchen und Städtchen, deren Namen ihr nichts sagten. Wenn sie jetzt dem GPS bedeuten würde, sie bequem zu dem Lilie’schen Hof zu führen, was würde sie dann sehen?
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