Rosenpsychosen
Würden sie unter einem Apfelbaum sitzen und Blechkuchen essen? Oder gerade Tiere füttern, ein Dach ausbessern, ein Auto reparieren oder einen Pilz? Eine halbe Stunde, und sie wäre dort, genau über ihnen.
Was, wusste sie nicht, aber irgendetwas veranlasste sie, auf Gegenkurs zu gehen und heute nicht nachzusehen, was auf dem Hof los war. Stattdessen näherte sie sich einem für diesen Landstrich ungewöhnlich großen Mischwald, über dessen Gipfeln eine dichterische Ruhe herrschte. Wann war denn nun der Wald am schönsten? Im Sommer eigentlich nicht, fand sie. Im Herbst, ganz klar. Waren Dinge am schönsten, wenn sie kurz vor ihrem Exitus standen? Wie alte Diven, deren Schönheit man desto höher preist, je älter sie sind? Schon möglich, dass sie sich gerade jetzt so dringend mit Adam versöhnen wollte, weil er dem Tode geweiht war. Man konnte keinem Gefühl trauen. Aber wenn man einem einzigen nicht traute, war es dann nicht genauso gut, als Konsequenz daraus allen zu trauen? Vielleicht besser als gar keinem.
Ein Hubschrauber kam ihr entgegen, der buhlerisch in der Sonne glänzte. Ein Traum von Blech.
Als auf dem Copilotensitz Maries Handy klingelte, nahm sie das Gespräch nicht an. Es war Nike, Adams Schwester. Ihr Blick haftete länger als gewöhnlich auf dem Display, wandertelangsam hinauf zum Cockpit, von da auf die Windschutzscheibe und saugte sich endlich an einem Funkturm am Horizont fest. Sie wusste es, vielleicht schon den ganzen Tag lang. Adam war tot.
Wie war das gleich, wie kam man aus dem Trudeln wieder heraus? Seitenruder entgegen oder in Drehrichtung? Und erst Seiten-, dann Höhenruder oder umgekehrt? Logisch, Seitenruder entgegen, memorierte sie, und dann Höhenruder ab nach vorne. Schwachsinn, alles egozentrischer Blödsinn. Nein, sie sollte nicht trudeln. Wenn sie es doch nicht wieder ausleiten konnte – die Kinder würden lange Gesichter machen. Was würde Pasi sagen? Und, vor allem, wer würde es ihr sagen?
Marie nahm Kurs auf den Flugplatz. Man stellte ihr anheim, auf 25 oder 07 zu landen, denn es wehte kein Hauch. Die Sonne im Gesicht, setzte sie die Maschine feenhaft sanft mit Minimalfahrt genau auf die Mitte des ersten Bahndrittels. Das hätte Adam gefallen, und sie sah sein Gesicht, das lachte, und seinen Blick, der vergeblich versuchte, glücklich zu machen, und hörte seine verliebte Stimme sagen, viel besser hätte auch er es nicht hinbekommen.
23
Olaf überrascht Helene, was unter anderem den Tod
zweier Fleißiger Lieschen zur Folge hat
Die Koffer, die Helene aus dem Keller holte, waren mächtig verstaubt. Sie sollte sich Kofferschoner zulegen, dachte sie, war andererseits aber schon immer eine Kofferschonergegnerin gewesen. Leute mit Kofferschonern beschafften sich auch noch Kofferschonerschoner. Also rüstete sie sich wie jedes Jahr mit einer Küchenrolle aus und machte sich an die Arbeit, während die Jungs draußen auf dem leeren Marktplatzgelände Fußball spielten.
Fabian spielte so schlecht, wie er konnte, um Moritz die Chance zu geben, so gut zu spielen, wie es ihm möglich war. Sie bemerkten den Mann nicht, der am Rand stand und ihnen zusah. Er wäre auch nicht stehen geblieben, wenn nicht Fabian und Moritz gerade, als er vorübergehen wollte, sich mit Namen angebrüllt hätten. Die Namen kannte er. Eine kleine Weile stand er so, und ihm gefiel, was er sah: Prachtjungs – ein Wunder der Natur, dass dieser Herrmann die gezeugt hatte. Wie erfreulich, dass sie offenbar einen Großteil ihrer Gene der mütterlichen Seite zu verdanken hatten.
Olaf knüllte das Blumenpapier zusammen, warf es in den nächsten öffentlichen Mülleimer und ging über die Straße zu dem Haus, das er noch nie betreten hatte. Ob er zu einem Heiratsantrag unterwegs sei, hatte die Frau auf der Bank vorhin gefragt. Gar keine schlechte Idee. Wenn er Helene nun augenblicklich einen Heiratsantrag machte? Na, daswäre vielleicht etwas viel fürs Erste, konstatierte er und klingelte.
Es war wie immer, wenn man jemandem wider Erwarten begegnete, für den man sich normalerweise eine Stunde lang im Bad und dann noch eine weitere vor dem Kleiderschrank aufgehalten hätte, selbst wenn man eine Frau wie Helene war, die ohne Abendpantoletten und Make-up auskam. Sie hatte weder Bad noch Kleiderschrank frequentiert und stand nun da – zwar irgendwie angezogen, aber praktisch entblößt und ganz sicher in einem anderen Zustand als dem erwünschten. Helene wurde, nachdem sie begriffen hatte, dass Olaf vor
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