Rosenschmerz (German Edition)
Specht an ihm vorbei, zwei Stufen auf einmal nehmend.
»So einen Austrag möchte ich auch einmal haben«, gab er in sächsischer Mundart
zurück.
Eine Kampfansage an seinem ersten Diensttag! Im Austrag lebten am
Land Altbauern als Rentner auf ihrem früheren Hof. Diesen Empfang hatte sich
Ottakring anders vorgestellt.
»Vor Specht müssen Sie sich in Acht nehmen«, bestätigte auch PD Schuster. Er hatte Ottakring mit einem knappen,
kollegialen Nicken begrüßt. Seine Stimme füllte das quadratische Büro mit den
zwei Fenstern mühelos aus. »Er ist durchaus tüchtig. Doch er fühlt sich
übergangen und ist ehrgeizig. Ich hab fast täglich die eine oder andere
Auseinandersetzung mit ihm.«
Ottakring schlürfte nachdenklich an dem dünnen Kaffee und
streichelte seinen Oberlippenbart.
»Bin gleich wieder da«, sagte Schuster und erhob sich. »Nachher
führe ich Sie zu Ihrem Büro.«
Ottakring sah sich um. Silberpokale mit und ohne Deckel überall, wie
woanders Bierkrüge. Sporturkunden an der Wand. Bayrischer Boxmeister bei den
Junioren im Weltergewicht. Später Deutscher Vizemeister im Mittelgewicht.
Europäischer Polizeimeister. Links vom Fenster ein Universitätsdiplom.
»Kommen Sie«, sagte Schuster in der Tür und rieb sich die Hände. Der
fensterlose Flur in der dritten Etage war reichlich zehn Meter lang. In
gleichem Abstand voneinander gingen rechts und links dunkel lackierte Türen ab.
Dazu ein Verhörraum, eine Haftzelle. Die erste Tür links stand offen. Es war
Scholls früheres Büro, das in diesen Minuten an Ottakring übergehen würde. Ein
Raum, etwas kleiner als Schusters Chefzimmer. Alles muss seine Hackordnung
haben, dachte Ottakring belustigt. Schreibtisch, Schrank, Sitzecke,
Garderobenständer. Scholls persönliche Sachen waren entfernt worden. Ottakring
hatte nicht vor, etwas zu verändern.
»Hallo!«
»Grüß Gott, Herr Ottakring!«
»Guten Tag, Herr Kriminalrat!«
Aha. Alle grüßten freundlich. Man war informiert, die Mitarbeiter
hatten ihn erwartet.
Spechts Zimmer war das vierte links.
»Herr Specht ist zurzeit voll beschäftigt«, sagte Schuster. »Er
kümmert sich um die Brandserie im Landkreis. Die Presse hat den Täter wieder
einmal ›Feuerteufel‹ getauft.« Er wiegte den Kopf. »Schwierig, schwierig«,
sagte er. »Wie ein Fass ohne Boden.«
Ottakring hatte von den Brandstiftungen gehört.
Der letzte Raum auf der rechten Seite war mit »Toledo«
gekennzeichnet. Die Tür war geschlossen. »Frau Toledo hat einen
Auswärtstermin«, beantwortete Schuster Ottakrings fragenden Blick.
Was Schuster betraf, hatte Ottakring das Gefühl, willkommen zu sein.
Eine sehr persönliche Einweisung. Herzlicher Stil. Trotzdem lag stets etwas
Drohendes in Schusters Mimik. Er hatte sich wieder hinter seinen Schreibtisch
gesetzt. Auf seinem gebräuntem Gesicht stand ein Schweißfilm.
»Es könnte sein, dass Sie gleich mit einem aktuellen Fall
konfrontiert werden.«
Ottakring klang zuversichtlicher, als er sich fühlte. »Niki
Kirchbichler?«
Für einen Augenblick war Schuster die Verblüffung anzumerken. Rasch
aber fing er sich. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. »Aha«, sagte er. »Der Herr
Kriminalrat hat schon recherchiert.«
Schuster bestätigte, was Dr. Vach nicht abgestritten hatte. Der von
dem Arzt ausgestellte Totenschein enthielt die kritische Aussage »ungeklärt«.
»Ich habe Toledo gebeten, Vach zu interviewen«, erklärte er. Der ist
so etwas wie der Betriebs- und Hausarzt beim Voglwirt. Daher kennt er auch
Kirchbichlers Vorgeschichte. Im Sommer hat er wie jedes Jahr den Jahrescheck
mit ihm gemacht. Ohne Befund. An seiner Leiche konnte er nichts Ungewöhnliches
entdecken. Daher hat ihn die Tatsache, dass ein saunaerprobter Typ wie
Kirchbichler einfach tot daliegt, nachdenklich gemacht.«
Über Schusters dunklen Augenbrauen hatten sich drei senkrechte
Konzentrationsfalten gebildet.
»Das ist eigentlich alles. Und muss nichts heißen, das wissen Sie
ja, Herr Ottakring. Aber da steht Ihnen Ihre erste Ermittlung ins Haus.«
Schuster war aufgestanden »Sollte es komplizierter werden, ziehen Sie die
Toledo hinzu.«
»Dann basteln die also in diesen Tagen in der Frauenlobstraße an
Kirchbichlers Leiche rum?«
Schuster nickte.
Das konnte dauern. Doch zum Leiter der Münchener Rechtsmedizin hatte
Ottakring noch beste Beziehungen. Jedenfalls hoffte er das.
Er ging zur Tür.
»Herr Ottakring«, hörte er Schusters sonore Stimme hinter sich.
»Noch etwas. Piloten und Herzchirurgen
Weitere Kostenlose Bücher