Rosenschmerz (German Edition)
Spannung
erwartete er die Nachricht aus der Rechtsmedizin. Bis dahin wollte er sich auf
die Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für Lola machen.
Dichter Verkehr schob sich durch die Münchener- und die
Bahnhofstraße. Menschen drängten und stießen sich auf der Jagd nach Beute.
Weihnachtsdekorationen leuchteten in allen Schaufenstern. Ein Windstoß fegte
Ottakring entgegen. Er brachte einen Duft nach gebrannten Mandeln mit –
oder waren es Maroni? Verschwommen hörte Ottakring Lautsprecherdurchsagen vom
nahen Christkindlmarkt am Max-Josefs-Platz. Vor dem Haupteingang vom Karstadt
spielte ein Indio-Trio. Ottakring blieb stehen und stellte sich vor die Combo,
ohne ihr wirklich zuzuhören. Herr Huber an der Leine neben ihm setzte sich in
den festgetretenen Schnee und blickte zu ihm auf. Der Gedanke an Lola und ein
Weihnachtsgeschenk für sie nahm Ottakring völlig in Anspruch. Die Suche nach
einem Geschenk war der Horror in seinem Leben, genau wie Fingernägelschneiden
und der monatliche Friseurbesuch. Etwas für andere zu kaufen, was man sich
selbst nicht leisten kann oder will. Ein Idiot, der das erfunden hat.
»Hallo, Herr Ottakring!«
Eine Frau Anfang zwanzig, heiteres Gesicht mit blassem Teint und
bläulichen Lippen, breiter, blonder Chinesenzopf, enge schwarze Jeans, erdbeerfarbener
Schal über hellem Stoffblouson. Sie beugte sich zu Herrn Huber, der sie
umgehend umwedelte.
»Eva Mathilde, die Rolliererin vom BKA «,
stellte sie sich vor. »Im Dienst nennen sie mich kurz Eva M.«
Ottakring schüttelte ihr die Hand. »Grüß Gott, Eva M. Jetzt
erkenne ich Sie. Ich hab Sie im Sommer auf der Wiesn getroffen. Als Miss
Herbstfest, korrekt?« Abrupt gefror seine Miene. »Warum sind Sie nicht auf der
Dienststelle?«
»Ich muss Kaffee besorgen«, sagte sie entschuldigend. Sie klang
erkältet. »Ich bin zum Kaffeekochen eingeteilt. Eine meiner wesentlichen
Aufgaben.« Sie rollte mit den Augen. »Aber jemand muss es wahrscheinlich
machen.« Sie musste husten und hielt die Hand vor den Mund.
Menschen eilten an ihnen vorbei. Einer trat Herrn Huber auf die Vorderpfote.
Der Hund heulte auf wie ein tödlich verletztes Tier.
»Was haben Sie gegen Kaffeekochen?«, blaffte Ottakring. »Fühlen Sie
sich unterbeschäftigt?« Nervös blickte er auf seine Uhr. Kurz nach elf. Seine
Stimme wurde rau. »Ach was, wir sollten das nicht hier besprechen. Melden Sie
sich heute Nachmittag bei mir. Dann berichten Sie mir, welche Aufgaben Sie
haben und was nach Ihrer Ansicht sonst noch alles falsch läuft im K1. Außer
Kaffeekochen. Oder – wenn ich nicht da sein sollte, will ich Sie morgen früh
sehen.«
Eva M. sah ihn aus großen Augen an. Dann nickte sie wortlos und
eilte auf den Kaufhauseingang zu.
»Eva Mathilde!«
Sie fuhr herum.
»Was würden Sie einer über Vierzigjährigen, die Ihnen nahesteht, zu
Weihnachten schenken? Haben Sie eine Idee?«
Eva M. legte die Hände flach an die Seite und machte einen
Knicks. »Sie fragen mich, weil ich eine Frau bin? Um wen geht’s denn?«,
krächzte sie heiser. »Vielleicht um Frau Herrenhaus? Hören Sie. Meine Mutter
ist achtundvierzig. Ihr Hobby ist Eisspeedway fahren. Sie mag am liebsten was
für ihre Maschine. Einen Satz neuer Spikereifen zum Beispiel. Einen geilen
Helm. Einen Nierenschützer. Handschuhe. Oder so.« Ihr Lachen endete in einem
weiteren Hustenanfall. »Ich hab ihr auch schon einmal eine Fahrradklingel geschenkt.
Als Gag.«
Woher weiß das Madl, wer meine Partnerin ist?
»Was für Frau Herrenhaus das richtige Geschenk ist – wer sollte
das besser wissen als Sie?« Eva M. strich Herrn Huber über den Kopf. »Bis
später, Herr Ottakring.«
Zu den Klängen von »El condor pasa« der Indios, begleitet vom
Klingelton ihres Handys, marschierte sie ins Innere des Kaufhauses.
Ottakring war perplex. Ziemlich nassforsch, die Kleine, dachte er.
Verdammt, eigentlich hat sie ja absolut recht. Doch woher, zum Teufel, weiß sie
das mit Lola?
Als Ottakring in der Direktion ankam, herrschte im Haus
eine gespannte Atmosphäre. Schuster, der Polizeichef, brüllte ins Telefon.
Irgendwo knallte eine Tür.
Ottakring hatte das Gefühl, als gingen ihm die Leute aus dem Weg.
Doch nach außen hin wirkten alle Mitarbeiter ruhig, fast apathisch. Sie
arbeiteten mit voller Konzentration. Niemand legte eine Pause ein oder verließ
den Raum, um sich am Kopiergerät die Füße zu vertreten. Doch Ottakring konnte
die Nervosität, die aus ihren geöffneten Zimmern kroch, förmlich
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