Rosenschmerz (German Edition)
überhaupt war die
Unterstellung »Mord an Kirchbichler« eine sehr verwegene. Solange kein
Gutachten vorlag.
Die Sache kam ihm verworren vor. Bevor er sich in etwas verrannte,
wollte er Schuster kontakten. Der stand in diesem Haus mit beiden Beinen auf
der Erde.
Er stieg hinauf in Schusters Pokalmuseum.
Der Chef musterte ihn aus grauen harten Augen. »Haben Sie das vorhin
mitgekriegt?«, fragte er, noch bevor Ottakring seine Fragen an ihn richten
konnte. Halbseitig lächelte er.
Wenn Ottakring seinen Gesichtsausdruck richtig interpretierte, war
der Mann bis in die Haarspitzen genervt. »Was meinen Sie?«, gab er zurück. »Was
soll ich mitgekriegt haben?«
»Na, das mit Specht und Eva M. Der hat sie quer über den Flur
gejagt. Hat sich benommen wie ein Irrer. Weil seine Kaffeetasse einen Dreckrand
hatte. Sagt er.«
In welche Bürointrigen war er da hineingeraten? Bemerkenswert
positiv fand er allerdings, dass Eva M. den Zwischenfall mit keiner Silbe
erwähnt hatte. Er trug Schuster sein Anliegen vor. Mord an Kirchbichler. Von einer
unbekannten Frau am Telefon verbreitet.
»Specht ist ein harter Bursche«, erklärte Schuster lautstark, »aber
er hat eine rege Fantasie. Er nimmt gern Abkürzungen bei seinen Ermittlungen.
Einfach, um sich in Szene zu setzen. Ich werde sofort mit ihm reden. Sonst
kursieren in zehn Minuten auf der ganzen Etage die Gerüchte.« Beinahe
nachsichtig setzte er hinzu: »Seit Scholl den Abgang gemacht hat, hat Specht
sich als seinen natürlichen Nachfolger gesehen.« Er rieb an seinem Schnurrbart.
»Und nun sind Sie seine Zielscheibe. Ich kann ihn schließlich nicht einfach
feuern. Der Mann ist Beamter. Unkündbar. Wie wir alle.«
»Kaliummangelsyndrom, extrem niedriger Magnesiumspiegel im
Blut, verbunden mit einem drastisch erhöhten Wert eines Antidepressivums.
Wahrscheinlich Fluopram. Letztlich ist der Mann an Herz-Kreislauf-Versagen
gestorben. Aber das hatte Gründe. Nicht genug getrunken, sein inneres
Energiepotential nicht gut drauf, zu viel Wasserverlust in der Sauna,
Erhitzung. Das Fachwort heißt ›Torsade de pointes‹-Tachykardie. Ich faxe Ihnen
das Gutachten zu.«
Endlich hatte sein Handy geklingelt. Ottakring verstand sofort. Er
hatte in seiner Karriere genug mit Leichenbeschauern zu tun gehabt, um ihrem
Fachchinesisch folgen zu können. Und auch zu interpretieren, was sie damit
sagen wollten. Dieser wollte ausdrücken: Hey, Mann, wie kam die Wahnsinnsmenge
Fluopram in Kirchbichlers Körper? Ein natürlicher Tod war das mit Sicherheit
nicht! Ottakring stieß ein kurzes Lachen aus, das wie ein Husten klang. Er
hatte es gewusst.
Kirchbichler war sein erster Fall in Rosenheim.
Schuster kam ihm auf der Treppe entgegen. Mit einem DIN-A 4-Blatt
zog er Kreise in der Luft. Er nahm Ottakring am Arm, führte ihn in sein Büro
und schloss die Tür. Wortlos reichte er Ottakring das Fax.
Der warf einen kurzen Blick darauf und nickte. »Ich wollte Sie
gerade informieren. Ich habe mit der Rechtsmedizin telefoniert. Sieht nicht
ganz nach einem natürlichen Todesfall aus.«
»Ich werde die Mitarbeiter informieren«, sagte Schuster mit
entschlossener Miene. Ȇbernehmen Sie den Fall? Ziehen Sie Chili Toledo hinzu,
wenn Sie wollen.«
Am Abend wählte Ottakring eine Nummer, die er schon lange
nicht mehr angerufen hatte. Chili Toledos Privatnummer.
Er hatte die Frau vor Augen, während er die Zahlen tippte. Chili,
die eigentlich Sabrina hieß, war zweiunddreißig und hatte einen Hang zu Ehrgeiz
und Perfektion. Sie war fröhlich, sportlich und sinnlich. Er hatte sich einmal
sehr zu ihr hingezogen gefühlt.
Chili freute sich wahrnehmbar, seine Stimme zu hören.
»Hör zu, Chili, wir treffen uns morgen um sieben Uhr fünfundvierzig
in der Praxis Dr. Vach am Max-Josefs-Platz.« Ottakring wollte sie von Beginn an
dabeihaben. Er erklärte ihr kurz, worum es ging, und wünschte ihr eine gute
Nacht. Die Zeiten, in denen er bei solchen Gelegenheiten seinen Abendflirt mit
ihr veranstaltet hatte, waren endgültig vorbei.
Dann meldete er sich bei Lola. Ihr Zustand war unverändert, und sie
war unverändert tapfer. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie leichthin. »In zehn
Tagen wissen wir mehr.«
Herr Huber verzog sich nach seinem ersten Tag im Rosenheimer
Kriminaldienst in sein Bett, hechelte tief und träumte – seinen Bewegungen
und Geräuschen nach zu urteilen – von Jagd, Flucht und Fressen.
Die Nacht war kalt. Ottakring zog sich aus und duschte heiß, bis die
Haut brannte. Um dem
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